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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sich nach Hause mitnehmen. Was aber, wenn ich nicht Kumiko bin? Was machen Sie dann? Es wäre doch möglich, daß Sie im Begriff stehen, jemand ganz anderen mit nach Hause zu nehmen. Wissen Sie auch sicher, was Sie da tun? Sollten Sie es sich nicht doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen?« Ich ballte in der Tasche eine Faust um die Taschenlampe. Das kann unmöglich jemand anders als Kumiko sein, dachte ich. Aber ich konnte es nicht beweisen. Es war letztlich nur eine Hypothese. Die Hand in meiner Tasche war schweißnaß. »Ich nehme dich mit nach Hause«, wiederholte ich trocken. »Dazu bin ich hergekommen.«
    Die Laken raschelten. Sie veränderte im Bett ihre Position. »Können Sie das mit Gewißheit sagen? Ohne Bedenken?« fragte sie mich drängend.
    »Ja, ich kann es mit Gewißheit sagen. Ich nehme dich mit nach Hause. «
    »Und Sie wollen es sich nicht noch einmal überlegen?«
    »Nein. Mein Entschluß steht fest«, sagte ich.
    Dem ließ sie ein langes Schweigen folgen, als überprüfte sie etwas auf seinen Wahrheitsgehalt hin. Dann atmete sie tief aus, wie um zu unterstreichen, daß dieser Phase unseres Gesprächs beendet war.
    »Ich möchte Ihnen etwas schenken«, sagte sie. »Es ist kein besonders großartiges Geschenk, aber es könnte sich als nützlich erweisen. Schalten Sie jetzt nicht das Licht an, aber strecken Sie die Hand hier herüber - ganz, ganz langsam -, zum Nachttisch.«
    Ich stand auf und streckte die rechte Hand in die Dunkelheit, lotete die Tiefe der Leere aus. An meinen Fingerspitzen spürte ich die Dornen der Luft. Und dann berührte ich das Ding. Als ich begriff, was es war, stockte mir die Luft in der Kehle. Das »Geschenk« war ein Baseballschläger.
    Ich schloß die Hand um den Griff und hob den Schläger schräg nach vorn. Dies war fast sicher jener Schläger, den ich dem jungen Mann mit dem Gitarrenkasten abgenommen hatte. Der Griff und das Gewicht stimmten. Er mußte es sein. Aber als ich ihn sorgfältiger betastete, merkte ich, daß etwas daran klebte, direkt über dem Markenzeichen, etwas wie Schmutz. Es fühlte sich an wie ein menschliches Haar. Ich nahm es zwischen die Fingerspitzen. Der Stärke und Konsistenz nach mußte es ein echtes menschliches Haar sein. Mehrere solche Haare klebten mittels einer Substanz, die sich wie geronnenes Blut anfühlte, an dem Schläger fest. Jemand hatte diesen Schläger dazu benutzt, jemand anderem - wahrscheinlich Noboru Wataya - den Schädel einzuschlagen. Es kostete mich Mühe, die Luft, die mir in der Kehle steckengeblieben war, wieder auszustoßen. »Das ist doch Ihr Schläger, nicht?« fragte sie. »Wahrscheinlich«, sagte ich, krampfhaft bemüht, die Fassung zu wahren. Meine Stimme hatte in der tiefen Dunkelheit allmählich einen etwas anderen Ton angenommen, als ob irgendwo hier unten jemand lauerte, der an meiner Stelle sprach. Ich räusperte mich, und nachdem ich mich vergewissert hatte, daß es wirklich ich war, der da redete, fuhr ich fort: »Aber jemand scheint damit auf jemanden eingeschlagen zu haben.«
    Die Frau gab keinen Ton von sich. Ich setzte mich und stellte den Schläger zwischen meine Beine. »Bestimmt weißt du, was los ist«, sagte ich. »Jemand hat Noboru Wataya mit diesem Schläger den Schädel zertrümmert. Die Nachricht, die ich im Fernsehen gesehen habe, stimmte. Noboru Wataya liegt im Krankenhaus, und sein Zustand ist kritisch. Er stirbt vielleicht.«
    »Er wird nicht sterben«, sagte Kumikos Stimme ohne jede Emotion. Sie hätte auch ein historisches Faktum aus irgendeinem Buch referieren können. »Es ist allerdings möglich, daß er nicht wieder zu Bewußtsein kommt. Dann irrt er nur immer weiter durch die Dunkelheit, aber was für eine Dunkelheit das dann wäre, weiß kein Mensch.«
    Ich tastete nach dem Glas, das zu meinen Füßen stand, und nahm es in die Hand. Ich goß mir den Inhalt in den Mund und schluckte, ohne nachzudenken. Eine Flüssigkeit ohne Geschmack lief mir durch die Kehle und die Speiseröhre hinab. Ohne ersichtlichen Grund überkam mich ein Frösteln, dann die unangenehme Empfindung, etwas bewege sich aus der Ferne durch einen langen dunklen Tunnel auf mich zu. Wie ich es erwartet hatte, schlug mein Herz nun schneller. »Wir haben nicht viel Zeit«, sagte ich. »Sag mir nur eins, wenn du kannst: Wo sind wir hier?«
    »Du warst schon einmal hier, und du hast hier hergefunden - heil und lebendig. Du solltest wissen, wo das hier ist. Und außerdem spielt’s jetzt keine Rolle mehr. Die

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