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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Hauptsache ist -«
    Da wurde an die Tür geklopft - ein hartes, trockenes Geräusch, als triebe jemand einen Nagel in die Wand: zwei laute Schläge, dann zwei weitere. Es war das Klopfen, das ich schon einmal gehört hatte. Die Frau hielt hörbar den Atem an. »Du mußt hier raus«, sagte sie, jetzt eindeutig mit Kumikos Stimme. »Wenn du jetzt gehst, schaffst du es noch, durch die Wand zu kommen.« Ich hatte keine Ahnung, ob es richtig oder falsch war, was ich dachte, aber eins wußte ich: solange ich hier war, mußte ich dieses Etwas schlagen. Das war der Krieg, den ich würde ausfechten müssen.
    »Diesmal laufe ich nicht davon«, sagte ich zu Kumiko. »Ich nehme dich mit nach Hause.«
    Ich stellte mein Glas auf den Boden, setzte mir die Wollmütze auf und ergriff den Schläger, den ich zwischen den Knien hatte. Dann ging ich langsam auf die Tür zu.

35
    B LOSS EIN WIRKLICHES MESSER
    WAS GEWEISSAGT WORDEN WAR
     
    Dem Lichtstreifen der Taschelampe folgend, bewegte ich mich lautlos auf die Tür zu, den Schläger in der rechten Hand. Ich ging noch, als es abermals klopfte: zwei Schläge, dann noch zwei. Härter diesmal, und brutaler. Ich preßte mich dort gegen die Wand, wo mich die Tür, wenn sie aufging, verdecken würde. Dort zwang ich meinen Atem zur Ruhe und wartete.
    Als das Geräusch der Schläge verklungen war, senkte sich auf alles wieder tiefe Stille, als wäre nichts geschehen. Ich spürte jedoch, daß auf der anderen Seite der Tür jemand war. Dieser Jemand stand, wie ich, mit angehaltenem Atem da und lauschte auf ein Atemgeräusch, den Pulsschlag eines Herzens oder auf Gedankenschwingungen, die sich entziffern ließen. Ich suchte zu verhindern, daß meine Atemzüge die umgebende Luft aufwühlten. Ich bin nicht hier, sagte ich mir. Ich bin nicht hier. Ich bin nirgendwo.
    Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Dieser Jemand vollzog jede Bewegung mit größter Umsicht, dehnte jeden Akt so, daß die dabei entstehenden Geräusche voneinander separiert wurden und dadurch ihre Deutbarkeit verloren. Der Türknauf drehte sich, dann folgte das fast unhörbare Geräusch beanspruchter Angeln. Die Kontraktionen meines Herzens beschleunigten sich. Ich versuchte, die Unruhe, die hierdurch aufkam, zu dämpfen, doch ohne Erfolg. Jemand betrat das Zimmer und löste feine Luftwellen aus. Ich versuchte bewußt, jeden meiner fünf Sinne zu schärfen, und witterte den leichten Geruch eines fremden Körpers - eine seltsame Melange aus schwerer Kleidung, gedämpftem Atmen und in Schweigen erstickter Nervosität. Hatte er das Messer in der Hand? Ich nahm an, ja. Ich erinnerte mich noch an dessen grellweißes Aufblitzen. Mit angehaltenem Atem, jedes Zeichen meiner Anwesenheit tilgend, packte ich den Schlägergriff fester.
    Sobald der Unbekannte im Zimmer stand, schloß er die Tür und verriegelte sie. Mit dem Rücken zur Tür blieb er dann wartend und lauernd stehen. Meine Hände umklammerten schweißnaß den Schläger. Ich hätte sie mir gern an der Hose abgewischt, aber die geringste Bewegung konnte verhängnisvolle Folgen haben. Ich rief mir die Plastik in Erinnerung, die im Garten des verlassenen Hauses der Miyawakis gestanden hatte. Um meine Anwesenheit auszulöschen, verschmolz ich mit diesem steinernen Vogel. Dort, in jenem sonnendurchfluteten Sommergarten, war ich eine Vogelplastik, im Raum erstarrt, zornig in den Himmel starrend. Der Unbekannte hatte seine eigene Taschenlampe mitgebracht. Er knipste sie an, und ihr dünner gerader Strahl schnitt in die Dunkelheit. Das Licht war nicht stark. Es kam von einer Miniaturtaschenlampe, wie auch ich sie bei mir hatte. Ich wartete darauf, daß der Strahl an mir vorüberzöge, wenn der Mann weiter ins Zimmer hineinginge, aber er rührte sich nicht von der Stelle. Das Licht begann, nacheinander einzelne Gegenstände aus der Dunkelheit zu holen - die Blumen in der Vase, das Silbertablett auf dem Tisch (das wieder seinen sinnlichen Schimmer verströmte), das Sofa, die Stehlampe … Es schwenkte an meiner Nase vorbei und senkte sich wenige Zentimeter vor den Spitzen meiner Schuhe auf den Fußboden, um wie eine Schlangenzunge in jede Ecke des Zimmers zu lecken. Ich wartete eine Ewigkeit. Angst und Anspannung bohrten sich mir peinigend ins Bewußtsein.
    Nicht denken. Du darfst nicht denken, sagte ich zu mir. Du darfst deine Phantasie nicht gebrauchen. Das hatte Leutnant Mamiya in seinem Brief geschrieben. Phantasie kann tödlich sein.
    Endlich setzte sich der Strahl der Taschenlampe

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