Mister Aufziehvogel
langsam, ganz langsam in Bewegung. Der Mann schien auf das hintere Zimmer zuzugehen. Ich packte den Schläger fester; da merkte ich, daß der Schweiß an meinen Händen getrocknet war. Eher waren sie jetzt zu trocken.
Der Mann tat einen langsamen Schritt nach vorn, dann blieb er stehen. Dann noch einen Schritt. Er schien seine Standsicherheit zu prüfen. Jetzt war er mir näher denn je. Ich atmete ein und hielt die Luft an. Noch zwei Schritte, und er wäre da, wo ich ihn haben wollte. Noch zwei Schritte, und ich würde diesem schleichenden Alptraum ein Ende machen können. Dann aber verschwand das Licht abrupt. Völlige Dunkelheit hatte wieder alles verschluckt. Er hatte seine Taschenlampe ausgeschaltet. Im Dunkeln versuchte ich, meinen Verstand schneller arbeiten zu lassen, aber er arbeitete überhaupt nicht mehr. Ein befremdlicher Schauder überkam mich. Er hatte gemerkt, daß ich da war. Beweg dich, sagte ich zu mir. Steh nicht einfach so da. Ich versuchte, nach links auszuweichen, aber meine Beine waren wie gelähmt. Meine Füße waren mit dem Boden verwachsen, wie die Füße der Vogelplastik. Ich beugte mich vor und schaffte es gerade eben, meinen erstarrten Oberkörper eine Spur nach links zu neigen. Im selben Augenblick rammte etwas gegen meine rechte Schulter, und etwas so Scharfes und Kaltes wie gefrorener Regen drang mir bis zum Knochen. Der Stoß schien mich wiederzubeleben, und die Lähmung schwand aus meinen Beinen. Ich machte einen Satz nach links und kauerte mich im Dunkeln hin, alle Sinne auf meinen Gegner gerichtet. Das Blut pulsierte in meinem ganzen Körper, jeder Muskel und jede Zelle rang nach Sauerstoff. Meine rechte Schulter wurde taub, aber ich verspürte keinen Schmerz. Der würde später kommen. Ich blieb völlig reglos, und ebenso mein Gegner. In der Dunkelheit maßen wir einander bei angehaltenem Atem. Nichts war zu sehen, nichts zu hören. Wieder stach das Messer ohne Vorwarnung zu. Wie eine wütende Hornisse schoß es an meinem Gesicht vorbei, so daß die scharfe Spitze nur meine rechte Wange ritzte, dort, wo mein Mal war. Ich spürte, wie die Haut aufriß. Nein, er konnte mich auch nicht sehen. Sonst hätte er mich schon längst erledigt. Durch die Dunkelheit schwang ich den Schläger in die Richtung, aus der das Messer gekommen war, aber er pfiff nur durch die Luft, ohne auf etwas zu treffen. Trotzdem war es ein guter Rundschlag gewesen, und das saubere Zischen half mir, etwas lockerer zu werden. Wir waren noch immer ebenbürtige Gegner. Das Messer hatte mich zweimal getroffen, aber nicht schwer. Keiner von uns konnte den anderen sehen. Und er hatte zwar ein Messer, aber ich hatte meinen Schläger. Wieder maßen wir einander blind, gezügelten Atems, lauerten auf den Hauch einer Bewegung. Ich spürte, wie mir Blut das Gesicht hinunterrann, aber ich war ohne Angst. Es ist nur ein Messer, sagte ich mir. Es ist nur ein Schnitt. Ich wartete. Ich wartete darauf, daß das Messer wieder auf mich zukäme. Ich konnte ewig warten. Lautlos atmete ich ein und aus. Komm schon! sagte ich im Geist zu meinem Gegner. Rühr dich! Ich warte darauf, daß du dich rührst. Stich zu, wenn du willst. Ich habe keine Angst.
Wieder kam das Messer. Es zerschlitzte den Kragen meines Pullovers. Ich fühlte die Spitze an meiner Kehle vorbeisausen, aber meine Haut berührte sie nicht. Ich warf mich herum und sprang zur Seite, und fast zu ungeduldig, um mich erst aufzurichten, schwang ich den Schläger durch die Dunkelheit. Ich traf den Mann irgendwo in der Gegend des Schlüsselbeins. Nicht fest genug, um ihn zu Fall zu bringen oder um ihm die Knochen zu brechen, aber weh getan hatte ich ihm. Ich spürte, daß er unter dem Schlag taumelte, und hörte ihn laut aufkeuchen. Ich holte kurz aus und schlug wieder zu - in dieselbe Richtung, aber etwas höher: dahin, von wo der scharfe Atemzug gekommen war.
Es war ein perfekter Rundschlag. Ich erwischte ihn irgendwo am Hals. Ich hörte das widerwärtige Geräusch von splitternden Knochen. Ein dritter Rundschlag traf ins Schwarze - auf den Schädel - und legte den Mann flach. Er stieß einen seltsamen Laut aus und sackte in sich zusammen. Er lag auf dem Boden und schnappte schwächlich, abgehackt nach Luft, aber auch das hörte bald auf. Ich schloß die Augen und holte, ohne nachzudenken, zu einem letzten Streich in Richtung des Geräusches aus. Ich wollte es nicht, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich mußte ihm den Rest geben: nicht aus Haß oder auch nur aus Angst,
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