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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Bedarf im Nu umgruppieren, in glänzenden - ja artistischen - intellektuellen Welten und Kombinationen. Aber für mein Empfinden war das nicht mehr als Spielerei. Wenn seine Ansichten irgendeine Konsequenz besaßen, dann war es ihr konsequenter Mangel an Konsequenz, und wenn er eine Weltanschauung vertrat, dann das Bekenntnis zu einem vollständigen Mangel an Weltanschauung. Aber gerade diese Leerstellen machten seine intellektuelle Stärke aus. Konsequenz und eine begründete Weitsicht stellten in den intellektuellen Scharmützeln, die in der zerschnipselten Zeit der Massenmedien aufflackerten, nur Ballast dar, und daß er von derlei frei war, erwies sich für ihn als großer Vorteil. Er hatte nichts zu verteidigen, und so konnte er seine ganze Aufmerksamkeit den Kampfhandlungen selbst widmen. Er brauchte nur anzugreifen, seinen Feind niederzustrecken. Noboru Wataya war ein intellektuelles Chamäleon, das seine Farbe mit der seines jeweiligen Gegners wechselte, seine Logik den Erfordernissen des Augenblicks anpaßte und aus einem unerschöpflichen Fundus rhetorischer Kniffe schöpfte. Ich hatte keine Ahnung, wo er sich diese Techniken angeeignet hatte, aber es war offensichtlich, daß er die Kunst beherrschte, unmittelbar an die Gefühle der Medienöffentlichkeit zu appellieren. Er wußte sich einer Logik zu bedienen, welche die große Mehrheit ansprach. Und sie brauchte nicht einmal logisch zu sein: solange sie die Massen nur emotional anrührte, durfte sie auch eine Scheinlogik sein.
    Mit Fachjargon zu jonglieren war eine weitere Stärke, auf die er jederzeit zurückgreifen konnte. Natürlich wußte dann kein Mensch, wovon er eigentlich sprach, aber er schaffte es stets, dem Hörer das Gefühl zu vermitteln, es sei dessen Schuld, wenn er es nicht kapierte. Und er führte zu allem Statistiken an. Er schüttelte sie nur so aus dem Ärmel, und sie besaßen eine unvorstellbare Überzeugungskraft, aber wenn man anschließend kurz nachdachte, fiel einem auf, daß niemand nach Watayas Quellen gefragt oder deren Zuverlässigkeit in Frage gestellt hatte. Seine gerissenen Taktiken machten mich rasend, aber ich schaffte es nie, einem anderen zu erklären, was genau mich so auf die Palme brachte. Es gelang mir nie, ihn mit einer schlüssigen Argumentation zu widerlegen. Es war wie mit einem Gespenst zu boxen: jeder Schlag ging ins Leere, es gab nichts Festes, was er hätte treffen können. Erschüttert stellte ich fest, daß sich selbst umsichtige Intellektuelle von ihm angesprochen fühlten. Es ärgerte mich auf eine schwer zu erklärende Weise.
    Und so kam es schließlich, daß Noboru Wataya als eine der intelligentesten Gestalten der Zeit galt. Auf Konsequenz schien niemand mehr Wert zu legen. Was die Leute in der Glotze zu sehen erwarteten, waren nur noch die Schlägereien intellektueller Gladiatoren; je mehr der Gegner blutete, desto besser. Ob der Sieger am Montag das eine und am Donnerstag das genaue Gegenteil behauptete, spielte keine Rolle.
     
    Ich lernte Noboru Wataya kennen, kurz nachdem Kumiko und ich beschlossen hatten zu heiraten. Bevor ich ihren Vater aufsuchte, wollte ich mit ihm reden. Ich meinte, ich könne ihn als jungen, mir etwa gleichaltrigen Mann dafür gewinnen, mir bei seinem Vater den Weg zu ebnen.
    »Ich glaube nicht, daß du mit seiner Hilfe rechnen solltest«, sagte Kumiko sichtlich verlegen zu mir. »Ich kann es dir nicht genau erklären, aber er ist einfach nicht der Typ dazu.«
    »Na ja, früher oder später muß ich ihn ja doch kennenlernen«, sagte ich. »Ist wohl so«, sagte Kumiko.
    »Ein Versuch schadet nichts«, sagte ich. »Man kann nie wissen.«
    »Mag sein«, sagte Kumiko.
    Am Telefon zeigte Noboru Wataya wenig Begeisterung über die Aussicht, sich mit mir zu treffen. Wenn ich darauf bestünde, sagte er, könne er sich eine halbe Stunde für mich freimachen. Wir verabredeten uns in einem Café in der Nähe des Ochanomizu-Bahnhofs. Er war damals erst ein kleiner College-Dozent - sein Buch war noch lange nicht geschrieben, seine ästhetisch-modische Bekehrung lag noch in weiter Ferne. Die ausgebeulten Taschen seines Sportsakkos verrieten, wohin er seine Fäuste mit Vorliebe steckte. Sein Haar brauchte seit mindestens zwei Wochen einen Friseur. Sein senffarbenes Polohemd biß sich mit seinem blau-grauen Tweedjackett. Er sah aus wie ein typischer junger Assistent, für den Geld ein Fremdwort ist. Seine Augen hatten den schläfrigen Ausdruck eines Mannes, der sich gerade nach

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