Mister Aufziehvogel
erschöpfendem wissenschaftlichen Tagewerk aus der Bibliothek geschleppt hat, aber wenn man genau hinsah, erkannte man in ihnen auch ein kaltes durchdringendes Funkeln.
Nachdem ich mich vorgestellt hatte, sagte ich, ich hätte vor, Kumiko in naher Zukunft zu heiraten. Ich bemühte mich, meine Situation so ehrlich wie möglich darzustellen. Ich arbeitete in einer Anwaltskanzlei, sagte ich, aber ich wisse, daß das nicht der richtige Job für mich sei. Ich sei noch auf der Suche. In einer solchen Lage an Heirat zu denken könnte leichtsinnig erscheinen, sagte ich, aber ich liebte seine Schwester und sei davon überzeugt, daß ich sie glücklich machen könne. Wir könnten uns gegenseitig Kraft und Zuversicht geben. Meine Worte zeitigten bei Noboru Wataya keine erkennbare Wirkung. Er saß mit verschränkten Armen da und hörte schweigend zu. Auch nachdem ich meine kleine Rede beendet hatte, zeigte er keinerlei Reaktion. Er schien an etwas anderes zu denken.
Ich hatte mich in seiner Gegenwart von Anfang an unbehaglich gefühlt und hatte dies auf die besondere Situation zurückgeführt. Einem wildfremden Menschen zu sagen: »Ich möchte Ihre Schwester heiraten«, würde jeden verlegen machen. Aber je länger ich ihm gegenübersaß, desto deutlicher kam ein unangenehmes Gefühl in mir auf. Es war, als wüchse einem ein säuerlich stinkender, schleimiger Fremdkörper in der Magengrube. Nicht, daß Noboru Wataya etwas Bestimmtes gesagt oder getan hätte, was mir gegen den Strich gegangen wäre. Es lag an seinem Gesicht: einfach an Noboru Watayas Gesicht. Es vermittelte mir das unerklärliche Gefühl, daß es mit einer Schicht von etwas anderem überzogen sei, von etwas Falschem. Es war nicht sein wirkliches Gesicht. Dieses Gefühl wurde ich nicht los.
Ich wäre am liebsten sonstwo gewesen. Tatsächlich spielte ich mit dem Gedanken, aufzustehen und zu gehen, aber ich wußte, daß ich die Sache zu Ende bringen mußte. Also blieb ich sitzen, nippte an meinem lauwarmen Kaffee und wartete darauf, daß er etwas sagte.
Als er endlich den Mund aufmachte, war es so, als habe er seine Stimme aus Gründen der Energieeinsparung bewußt auf die niedrigste Lautstärke eingestellt. »Um die Wahrheit zu sagen«, sagte er, »konnte ich Ihren Ausführungen weder folgen noch irgendein Interesse abgewinnen. Die Dinge, die mich interessieren, sind völlig anderer Natur und Größenordnung und dürften wiederum Ihnen unbegreiflich und gleichgültig sein. Um meinen Standpunkt so kurz wie möglich zu formulieren: Wenn Sie Kumiko heiraten möchten und Kumiko Sie heiraten möchte, habe ich weder das Recht noch den geringsten Grund, Ihnen Hindernisse in den Weg zu legen. Folglich werde ich Ihnen auch keine Hindernisse in den Weg legen. Ich würde es nicht einmal als theoretische Möglichkeit in Betracht ziehen. Erwarten Sie aber auch nichts weiter von mir. Und vor allem erwarten Sie von mir nicht, daß ich auf diese Angelegenheit noch mehr Zeit vergeude, als ich bereits getan habe.«
Er sah auf seine Uhr und stand auf. Seine Stellungnahme war knapp und sachbezogen gewesen, litt weder unter Ausschmückungen noch Auslassungen. Ich hatte vollkommen klar begriffen, was er mir sagen wollte und was er von mir hielt. Und so schieden wir an jenem Tag voneinander.
Nachdem Kumiko und ich geheiratet hatten, ergaben sich eine Reihe von Situationen, die es für Noboru Wataya und mich unumgänglich machten, in unserer Eigenschaft als Schwager, wenn schon nicht eigentlich miteinander zu reden, so doch zumindest Worte zu wechseln. Wie er bereits angedeutet hatte, entbehrten wir jeglicher gemeinsamen Basis, und so mochten wir in des anderen Gegenwart noch so viele Worte von uns geben - etwas, was man ein Gespräch hätte nennen können, konnte sich daraus unmöglich entwickeln. Es war, als unterhielten wir uns in verschiedenen Sprachen. Wenn der Dalai Lama im Sterben läge und der Jazzmusiker Eric Dolphy versuchte, ihm klarzumachen, wie wichtig es sei, die Klappen der Baßklarinette je nach angestrebtem Klang mit einem anderen Öl zu behandeln, dann könnte dabei eine - und wenn auch nur geringfügig - erfolgreichere und befriedigendere Kommunikation zustande kommen als bei meinen Versuchen, mich mit Noboru Wataya zu verständigen.
Kontakte mit anderen Menschen wecken in mir nur selten länger anhaltendes emotionales Unbehagen. Ich kann mich wohl über jemanden ärgern, auch wütend über ihn werden, aber das hält nie lange vor. Ich bin imstande, mich und den
Weitere Kostenlose Bücher