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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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irgendwas nicht.«
    »Du meinst, da spukt’s?«
    »Vielleicht nicht gerade das, aber ich habe noch nie was Gutes über das Anwesen gehört«, sagte mein Onkel. »Bis zum Ende des Krieges wohnte da ein ziemlich bekannter Militär, Oberst Wasweißich, ein richtiger Super-Eliteoffizier. Die Soldaten, die unter seinem Kommando in Nordchina kämpften, bekamen alle möglichen Auszeichnungen, aber sie haben dort schlimme Dinge getan - fünfhundert Kriegsgefangene hingerichtet, Zehntausende von Bauern gezwungen, für sie zu arbeiten, bis die Hälfte davon tot umgefallen ist, solche Sachen. Das waren jedenfalls die Geschichten, die man sich damals erzählte, ich weiß also nicht, wieviel davon stimmt. Er wurde unmittelbar vor Ende des Krieges zurückkommandiert, hat also die Kapitulation hier erlebt, und aus dem, was da ablief, konnte er sich ausrechnen, daß man ihn als Kriegsverbrecher vor Gericht bringen würde. Die Burschen, die in China durchgedreht waren - die Generäle, die Stabsoffiziere -, wurden nach und nach alle von der amerikanischen Militärpolizei abgeholt. Nun, er hatte nicht die Absicht, sich vor Gericht schleifen zu lassen. Er dachte nicht daran, sich öffentlich vorführen und anschließend aufhängen zu lassen. Da wollte er sich lieber selbst das Leben nehmen. Als er also eines Tages einen GI-Jeep vor seinem Haus halten sah, schoß er sich sofort eine Kugel durch den Kopf. Es wäre ihm zwar bestimmt lieber gewesen, sich nach guter alter Samurai-Manier den Bauch aufzuschlitzen, aber dafür reichte die Zeit nicht mehr. Seine Frau hängte sich in der Küche auf, um ihren Mann ›in den Tod zu begleiten‹.«
    »Wahnsinn.«
    »Jedenfalls stellte sich heraus, daß der GI ein ganz gewöhnlicher Gl gewesen war, der das Haus seiner Freundin suchte. Er hatte sich verfahren und wollte nur nach dem Weg fragen. Du weißt ja selbst, wie leicht man sich in dem Viertel verfranzen kann. Zu entscheiden, daß der Zeitpunkt zu sterben gekommen ist - das kann für niemanden leicht sein.«
    »Nein, bestimmt nicht.«
    »Nach dieser Sache stand das Haus für eine Weile leer, und dann kaufte es eine Schauspielerin - eine Filmschauspielerin. Der Name würde dir nichts sagen, das war lange vor deiner Zeit, und besonders berühmt ist sie nie gewesen. Sie wohnte dort, na, um die zehn Jahre lang. Nur sie und ihre Zofe. Sie war unverheiratet. Ein paar Jahre, nachdem sie dort eingezogen war, bekam sie irgendein Augenleiden. Sie sah alles nur noch verschwommen, selbst aus nächster Nähe. Aber sie war schließlich Schauspielerin; sie konnte unmöglich mit Brille arbeiten, und Kontaktlinsen waren damals noch etwas ganz Neues. Sie waren nicht besonders gut, und es benutzte sie so gut wie niemand. Also machte sie es so, daß sie vor jeder Aufnahme in die Dekoration ging und auswendig lernte, wie viele Schritte sie von A nach B zu laufen hatte. Irgendwie kam sie zurecht: Es waren ziemlich simple Filme, diese alten Shochiku-Familiendramen. Damals ging’s überhaupt in allem viel lockerer zu. Eines Tages aber, nachdem sie sich den Szenenaufbau eingeprägt hatte und wieder in ihre Garderobe gegangen war, verstellte ein junger Kameramann, der nichts von der Sache wußte, die Requisiten ein kleines bißchen.«
    »Oha.«
    »Sie stolperte, fiel hin und konnte danach nicht mehr gehen. Und mit ihren Augen wurde es sogar noch schlimmer. Sie war praktisch blind. Es war jammerschade; sie war noch jung und hübsch. Natürlich war es aus mit ihrer Filmkarriere. Sie konnte praktisch nur noch zu Haus herumsitzen. Und dann steckte ihre Zofe eines Tages ihr ganzes Geld ein und brannte mit irgendeinem Kerl durch. Diese Zofe war der einzige Mensch gewesen, dem sie geglaubt hatte, vertrauen zu können, sie hatte sich in allem absolut auf sie verlassen, und die Frau hat ihr sämtliche Ersparnisse gestohlen, Aktien, alles. Junge, Junge, entsetzliche Geschichten gibt’s! Und was glaubst du, was sie da getan hat?«
    »Na ja, ein Happy-End kann diese Geschichte wohl kaum haben.«
    »Nein, wohl kaum«, sagte mein Onkel. »Sie hat die Badewanne vollaufen lassen, das Gesicht ins Wasser gesteckt und sich ertränkt. Du kannst dir vorstellen, daß man schon verflucht entschlossen sein muß, um sich auf die Art umzubringen.«
    »Wahrlich kein Happy-End.«
    »Nein, wirklich nicht. Kurz darauf kaufte Miyawaki das Grundstück. Ich meine, es ist ein schönes Anwesen - jeder, der es sieht, möchte es gern haben. Die Nachbarschaft ist angenehm, das Grundstück liegt

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