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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sechzehnjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft kennengelernt und einen Nachmittag lang zusammen mit ihr gejobbt, eine Erhebung für einen Perückenfabrikanten. War auch gar nicht schlecht bezahlt.« Und Kumiko hätte dazu sagen können: »Ach, wirklich? Na, ist doch schön«, und damit wäre die Sache erledigt gewesen. Oder auch nicht. Möglicherweise hätte sie auch mehr über May Kasahara wissen wollen. Sie hätte sich darüber ärgern können, daß ich mich mit einer Sechzehnjährigen anfreundete. Dann hätte ich ihr von May Kasahara erzählen müssen und ihr haarklein erklären, wo, wann und wie wir uns zufällig kennengelernt hatten. Ich bin bloß leider nicht sehr gut darin, systematische Erklärungen abzugeben.
    Ich holte das Geld aus dem Umschlag und steckte es in meine Brieftasche. Den Umschlag zerknüllte ich und warf ihn in den Papierkorb. So entstehen also Geheimnisse, dachte ich bei mir. Nach und nach, Stückchen für Stückchen. Ich hatte nicht bewußt vorgehabt, May Kasaharas Existenz vor Kumiko geheimzuhalten. Eine so große Sache war meine Beziehung zu ihr schließlich nicht: ob ich davon erzählte oder nicht, war völlig belanglos. Sobald sie allerdings durch einen bestimmten zarten Kanal geflossen war, hatte sich ein Schleier von Geheimnistuerei um sie gelegt - was auch immer meine ursprüngliche »Absicht« gewesen sein mochte. Das gleiche war mit Kreta Kano geschehen. Ich hatte Kumiko erzählt, daß Malta Kanos jüngere Schwester hierhergekommen war, daß sie Kreta hieß, daß sie sich im Stil der frühen sechziger Jahre zurechtmachte, daß sie Proben von unserem Leitungswasser genommen hatte. Doch daß sie danach angefangen hatte, mir gegenüber erstaunliche Enthüllungen zu machen, und, bevor sie das Ende erreicht hatte, ohne ein Wort verschwunden war - das hatte ich verschwiegen. Kreta Kanos Geschichte war einfach zu verrückt gewesen: Ich hätte es nie geschafft, ihre Nuancen wiederzugeben und sie Kumiko faßbar zu machen, und so hatte ich es gar nicht erst versucht. Oder aber Kumiko hätte sich vielleicht wenig erfreut darüber gezeigt, daß Kreta Kano nach Erledigung ihres eigentlichen Auftrags noch so lange hiergeblieben war und mir alle möglichen verwirrenden persönlichen Dinge gebeichtet hatte. Und so hatte ich mit einemmal ein weiteres kleines Geheimnis.
    Vielleicht hatte Kumiko gleichfalls Dinge dieser Art, die sie vor mir verheimlichte. Und wie die Lage nun war, hätte ich dann natürlich kaum das Recht gehabt, ihr Vorwürfe zu machen. Ich war mit Sicherheit der Verschlossenere von uns beiden. Sie neigte dazu zu sagen, was ihr durch den Kopf ging. Sie war einer von den Menschen, die laut denken. Ich war nicht so.
    Um diese unangenehmen Grübeleien zu beenden, ging ich hinüber zum Badezimmer. Die Tür stand weit offen. Ich blieb an der Schwelle stehen und betrachtete Kumiko von hinten. Sie hatte inzwischen einen knallblauen Pyjama angezogen und rubbelte sich vor dem Spiegel die Haare trocken.
    »Was einen Job für mich angeht«, sagte ich. »Ich habe darüber nachgedacht. Ich hab Freunde gebeten, die Ohren aufzuhalten, und ich hab’s selbst bei ein paar Stellen versucht. Es gibt Jobs, ich kann also arbeiten, sobald ich will. Ich könnte schon morgen anfangen, ich brauche mich nur zu entscheiden. Das Problem ist, mich zu entscheiden. Ich bin einfach unsicher. Ich bin mir nicht sicher, ob es das Richtige wäre, mir wahllos irgendeinen Job herauszugreifen.«
    »Deswegen sag ich dir doch die ganze Zeit, du sollst tun, wonach dir ist«, sagte sie, während sie sich im Spiegel ansah. »Du brauchst dir jetzt noch keinen Job zu suchen. Wenn du dir wegen des Geldes Sorgen machst, dann sind das völlig unnötige Sorgen. Wenn dir nicht wohl dabei ist, arbeitslos zu sein, wenn es dir Probleme bereitet, daß ich die einzige bin, die hier Geld verdient, während du daheimhockst und dich um die Hausarbeit kümmerst, dann tu einfach für eine Weile was - besorg dir irgendeinen Übergangsjob. Mir ist es gleich.«
    »Natürlich werde ich früher oder später Arbeit finden müssen. Ich weiß das. Du weißt das. Ich kann nicht ewig weiter so herumhängen. Und ich werde früher oder später Arbeit finden. Es ist nur so, daß ich momentan nicht weiß, was für eine Arbeit es sein sollte. Nachdem ich in der Kanzlei aufgehört habe, dachte ich eine Zeitlang, daß ich wieder etwas mit Jura machen würde. Schließlich habe ich in der Branche einige Beziehungen. Aber jetzt kann ich mich dafür nicht mehr

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