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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Intuition ist noch nie meine Stärke gewesen, aber ich wußte, daß er mit seiner ausweichenden Bemerkung etwas verheimlichen wollte. Ich beschloß, ihn direkt zu fragen. »Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, dann tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte ich. »Das hier könnte unsere letzte Gelegenheit sein, uns je miteinander zu unterhalten, also raus damit.«
    Honda strich mit der Hand über den Sand zu seinen Füßen und nagte an seiner Unterlippe. Ich sah ihm an, daß er um eine Entscheidung rang. »Herr Leutnant«, sagte er nach einer Weile. Er sah mir direkt in die Augen. »Von uns vieren werden Sie am längsten leben - weit länger, als Sie es sich vorstellen können. Sie werden in Japan sterben.«
    Jetzt war es an mir, ihn anzustarren. Er fuhr fort:
    »Vielleicht fragen Sie sich, woher ich das weiß, aber das kann selbst ich nicht erklären. Ich weiß es einfach.«
    »Besitzen Sie übersinnliche Kräfte oder so?«
    »Kann sein, obwohl mir das Wort nicht so recht zu dem zu passen scheint, was ich in mir spüre. Es klingt ein bißchen zu hochgestochen. Wie gesagt, ich weiß es einfach, das ist alles.«
    »Haben Sie das schon immer gehabt?«
    »Schon immer«, sagte er fest. »Auch wenn ich es verheimliche, seit ich alt genug bin, um zu begreifen, was mit mir los ist. Aber hier geht es um Leben und Tod, Herr Leutnant, und Sie haben mich danach gefragt, also sage ich Ihnen die Wahrheit.«
    »Und was ist mit den anderen? Wissen Sie, was aus denen werden wird?« Er schüttelte den Kopf. »Manche Dinge weiß ich, andere nicht. Aber es wäre wahrscheinlich auch für Sie besser gewesen, es nicht zu wissen, Herr Leutnant. Es ist vielleicht anmaßend, wenn jemand wie ich vor einem gebildeten Mann wie Ihnen große Worte macht, aber das Schicksal ist etwas, auf das man zurückblickt, wenn es vergangen ist, nicht etwas, was man im voraus sieht. Ich habe einige Erfahrung mit solchen Dingen. Sie nicht.«
    »Aber auf alle Fälle sagen Sie, daß ich nicht hier sterben werde?« Er hob eine Handvoll Sand auf und ließ ihn zwischen seinen Fingern hindurchrieseln. »So viel kann ich sagen, Herr Leutnant. Sie werden nicht hier auf dem Kontinent sterben.«
    Ich hätte gern weiter über dieses Thema gesprochen, aber Korporal Honda sagte nichts mehr. Er schien in seine eigenen Betrachtungen oder Meditationen versunken zu sein. Auf sein Gewehr gestützt, starrte er auf die ungeheure Grasebene hinaus. Nichts von dem, was ich sagte, schien zu ihm durchzudringen. Ich ging zum Zelt zurück, das geduckt im Schutz einer Düne stand, streckte mich neben Feldwebel Hamano aus und schloß die Augen. Diesmal kam der Schlaf - ein tiefer Schlaf, der mich gleichsam bei den Knöcheln packte und mich hinunterzerrte auf den Meeresgrund.

13
    L EUTNANT MAMIYAS LANGE GESCHICHTE: 2. TEIL
     
    Geweckt wurde ich vom metallischen Klacken eines Gewehrs, das entsichert wird. Es ist ein Geräusch, das kein Soldat in der Schlacht je überhören würde, nicht einmal im Schlaf. Es ist ein - wie soll ich sagen? - ein besonderes Geräusch, so kalt und schwer wie der Tod selbst. Fast instinktiv griff ich nach der Browning, die neben meinem Kissen lag, aber im selben Augenblick knallte ein Schuh so fest gegen meine Schläfe, daß mir vorübergehend die Sinne schwanden. Nachdem ich meinen Atem wieder unter Kontrolle gebracht hatte, öffnete ich die Augen gerade so weit, daß ich den Mann, der mich getreten hatte, sehen konnte. Er hatte sich hingekniet und nahm gerade meine Browning an sich. Ich hob langsam den Kopf und starrte in die Mündungen zweier Gewehre. Hinter den Gewehren standen zwei mongolische Soldaten.
    Ich war sicher, daß ich in einem Zelt eingeschlafen war, aber jetzt war das Zelt verschwunden, und über mir funkelte ein Himmel voller Sterne. Ein anderer mongolischer Soldat zielte mit einer Maschinenpistole auf den Kopf Yamamotos, der neben mir lag. Er lag vollkommen reglos da, als wisse er, daß jeder Widerstand zwecklos war, und wolle deswegen keine Kräfte vergeuden. Alle Mongolen trugen lange Mäntel und Stahlhelme. Zwei von ihnen hielten starke Taschenlampen auf Yamamoto und mich gerichtet. Anfangs begriff ich nicht, was passiert war: Mein Schlaf war zu tief gewesen und der Schock zu groß. Aber der Anblick der mongolischen Soldaten und Yamamotos Gesichtsausdruck verscheuchten in mir alle Zweifel - man hatte unsere Zelte entdeckt, bevor wir die Möglichkeit gehabt hatten, den Fluß zu durchqueren.
    Dann fielen mir Honda und Hamano ein, und ich fragte

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