Mister Aufziehvogel
mich, was aus ihnen geworden sein mochte. Ich drehte ganz langsam den Kopf und versuchte, mich umzusehen, aber keiner von beiden war da. Entweder hatte man sie schon umgebracht, oder es war ihnen gelungen zu fliehen.
Das mußten die Männer der Patrouille sein, die wir am vorigen Morgen an der Furt gesehen hatten. Nur eine Handvoll Soldaten, mit einer Maschinenpistole und Gewehren bewaffnet. Das Kommando führte ein vierschrötiger UO, der einzige aus dem Haufen, der richtige Militärstiefel trug. Er bückte sich und hob die Ledermappe auf, die Yamamoto neben seinem Kopf liegen hatte. Er öffnete sie und sah hinein, dann drehte er sie verkehrtherum und schüttelte sie. Das einzige, was herausfiel, war ein Päckchen Zigaretten. Ich konnte es kaum glauben. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Yamamoto das Dokument in die Mappe gesteckt hatte. Er hatte es aus einer Satteltasche herausgeholt, es in diese Mappe gesteckt und die Mappe neben sein Kissen gelegt. Yamamoto bemühte sich, die Fassung zu bewahren, aber ich sah, wie sich sein Ausdruck veränderte. Er hatte offensichtlich keine Ahnung, was aus dem Dokument geworden war, aber in jedem Fall mußte dessen Verschwinden eine große Erleichterung für ihn bedeuten. Wie er mir ja selbst erklärt hatte, war unsere vorrangigste Pflicht, dafür zu sorgen, daß dieses Schriftstück unter keinen Umständen in die Hände des Feindes gelangte. Die Soldaten kippten alle unsere Habseligkeiten auf den Boden und inspizierten sie sorgfältig, aber sie fanden nichts Wichtiges. Danach zogen sie uns aus und durchsuchten unsere Taschen. Sie schlitzten mit ihren Bajonetten unsere Kleidung und unsere Tornister auf, aber sie fanden keinerlei Dokumente. Sie nahmen unsere Zigaretten und Stifte, unsere Brieftaschen und Notizbücher und Uhren und steckten alles ein. Einer nach dem anderen probierten sie unsere Schuhe an, und der, dem sie paßten, behielt sie. Die Diskussionen um die Aufteilung der Beute wurden zunehmend hitziger, aber der UO schenkte ihnen keine Beachtung. Vermutlich war es bei den Mongolen normale Praxis, Kriegsgefangenen und toten Feinden alles irgendwie Brauchbare abzunehmen. Der UO behielt nur Yamamotos Uhr und überließ es seinen Männern, sich um die übrigen Dinge zu streiten. Der Rest unserer Ausrüstung - Pistolen und Munition, Landkarten, Kompasse und Ferngläser - kam in eine Stofftasche, die zweifellos ins Hauptquartier nach Ulan Bator geschafft werden würde.
Als nächstes fesselten sie uns, nackt, wie wir waren, mit starkem, dünnem Seil. Aus der Nähe rochen die mongolischen Soldaten wie ein Stall, der seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr ausgemistet worden war. Ihre zerlumpten Uniformen starrten so von Schlamm und Staub und Essensresten, daß ihre ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen war. Ihre Schuhe waren völlig durchlöchert und fielen ihnen buchstäblich in Fetzen von den Füßen. Kein Wunder, daß sie unsere wollten. Sie hatten zum größten Teil viehische Gesichter, abstoßende Zähne und langes, wirres Haar. Sie sahen eher wie berittene Banditen oder Wegelagerer aus als wie Soldaten, aber ihre sowjetischen Waffen und ihre sternförmigen Abzeichen bewiesen, daß sie zu den regulären Streitkräften der Mongolischen Volksrepublik gehörten. Für meine Begriffe ließen ihre Disziplin und ihr militärischer Geist natürlich erheblich zu wünschen übrig. Die Mongolen sind zähe, ausdauernde Einzelkämpfer, aber für die moderne, organisierte Kriegführung eignen sie sich wenig.
Die Nacht war eisig. Als ich auf die weißen Atemwolken der mongolischen Soldaten blickte, die in der Dunkelheit aufblühten und wieder verschwanden, überkam mich das Gefühl, ein skurriler Irrtum habe mich in die Szenerie eines fremden Alptraums versetzt. Ich war außerstande zu begreifen, was wirklich geschah. Es war tatsächlich ein Alptraum, aber erst später erkannte ich, daß dies nur der Anfang gewesen war, der Beginn eines Nachtmahrs gigantischen Ausmaßes. Kurze Zeit später tauchte aus der Dunkelheit ein mongolischer Soldat auf, der etwas Schweres schleppte. Mit einem breiten Grinsen warf er seine Last neben uns auf die Erde. Es war Hamanos Leichnam. Er war barfuß: Jemand hatte ihm die Stiefel schon abgenommen. Jetzt entkleideten sie ihn und untersuchten alles, was sie in seinen Taschen fanden. Hände griffen nach seiner Uhr, seinem Geldbeutel und seinen Zigaretten. Sie teilten die Zigaretten unter sich auf und rauchten sie, während sie die Brieftasche
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