Mister Mädchen für alles
Ruhe. Erst hatte sie geduscht, dann Eiscreme aus der Packung gelöffelt, und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit lag die Macht über die Fernbedienung ganz bei ihr. Ihre Mutter hatte angerufen und ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, um zu fragen, wie es ihr ging. Doch Alex schenkte dieser Unterbrechung keine Beachtung. Sollten sie doch alle zur Hölle fahren, dachte sie trotzig und goss sich noch ein Glas Wein ein. Eine Zeit lang zappte sie durch die Kanäle, aber es kam nur Mist über drittklassige Promis, die sich selbst zur Schau stellten. Sie ließ den Blick durch die Wohnung streifen. Überall waren ihre Sachen verstreut, ihre Laufkleidung lag in einem Haufen auf dem Boden vor der Waschmaschine, und der Abwasch vom Frühstück stand noch auf der Anrichte. Auf dem Kaffeetisch konnte sie sogar eine Staubschicht entdecken. Die Ordnung der letzten Wochen hatte sich – genau wie ihre Mutter – in Luft aufgelöst, und das war eine Erleichterung. Auf eine Art wenigstens. Und überhaupt: Es war ihr allmählich auf die Nerven gegangen, dass ständig alles so sauber war.
Sie sah auf die Uhr. Es war erst zehn. Was für ein Glück!Vielleicht sollte sie heute einfach früher ins Bett gehen? Sie hatte ein wenig Schlaf weiß Gott nötig. Nachdem sie sich das Gesicht gewaschen und die Zähne geputzt hatte, schlüpfte sie in ein Trägershirt und Schlafshorts, knipste das Licht im Flur aus und zog die Tür zum Zimmer ihrer Mutter, das nun leer stand, zu. Nachdem Alex ins Bett geschlüpft war, nahm sie ihre Aufgabenliste zur Hand. Sie musste noch die Reihenfolge der Interviews mit den wichtigsten Stars festlegen, die zum Produktlaunch anwesend sein würden. Und dann war da noch diese schonungslos penetrante Redakteurin vom
Today!
-Magazin, mit der sie sich auseinandersetzen musste. Sie würde nicht klein beigeben, bis Alex ihr ein Exklusivinterview mit Bettina Gordino verschafft hatte. Alex hakte mehrere Punkte ab, während sie ihre Liste durchging. Es gab noch immer so viel zu erledigen. Der Schlaf würde ihr guttun.
Eine halbe Stunde später lag sie immer noch auf dem Rücken und lauschte den Geräuschen, die aus einem entfernten Garten, in dem eine Grillparty stattfand, zu ihr herüberdrangen. Die Leute kreischten vor Lachen. Wie egoistisch! Die Bettwäsche fühlte sich knitterig auf der Haut an und gar nicht so weich und kühl wie sonst, wenn … ja, wenn Frankie ihr Bett frisch bezogen hatte. Alex wälzte sich auf die Seite und boxte heftig in die Kissen, um sie aufzulockern. Wirklich, es war schon nervig, dass sie ihr Bett nun selbst machen musste, aber alles Gute hatte mal ein Ende. Sie seufzte und schloss die Augen.
Zur Hölle mit ihm, zur Hölle mit ihrer Mutter, zur Hölle mit Saff, schimpfte sie fünfzehn Minuten später, als sie in der Küche stand und einen Teebeutel in ihre Tasse legte. Vor allem zur Hölle mit Saff. Ihre Mutter war schon immer verschlagen gewesen. Launisch. Alle anderen schienensie unendlich unterhaltsam zu finden – selbst Frankie war ihrem Charme ganz offensichtlich erlegen. Doch für Alex war sie einfach nur oberflächlich und legte es ständig darauf an, andere zu beeindrucken, um dafür bewundert zu werden. Und wer musste das Chaos beseitigen, das sie hinterließ? Was Frankie anging, konnte sie nichts sagen, weil sie ihn nicht kannte. Sicher, er sah gut aus. Aber ein Schauspieler? Du lieber Himmel! Wahrscheinlich war er genauso divenhaft und schwierig wie die Ranke oder die Spitzensportler, die sie ständig verhätscheln musste. Alex schnappte sich den letzten Haferkeks aus der Dose. Na gut, er konnte kochen und backen, aber was bewies das schon? Das konnte schließlich jeder.
Doch dass Saff sie hintergangen hatte, schmerzte Alex wirklich. Wenn sie ihr nicht vertrauen konnte, wem in aller Welt konnte sie dann trauen? Sie kannten sich seit ihrer Kindheit, sie hatten sich gegenseitig ihren Liebeskummer erzählt, und Alex war Millies Taufpatin (wie von ungefähr acht anderen Kindern auch, aber das war eben das Schicksal von unverheirateten Frauen um die dreißig – die Leute dachten immer, dass eine Patenschaft sie darüber hinwegtröstete, dass sie selbst keine Kinder hatten).
Alex goss den restlichen Tee in den Ausguss, spülte ihre Tasse ab und stellte sie in das leere Abtropfgestell. Wenn sie niemandem mehr trauen konnte, dann wäre sie in Zukunft wohl ganz auf sich gestellt. Sie feuerte die Schlafzimmertür hinter sich zu und ließ sich ins Bett
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