Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
Vom Netzwerk:
zurückgekämmt. Er sah wie ein Motorradfahrer aus, ein Hells Angel, man lief Gefahr, seinen Intellekt zu unterschätzen. Keine Frage, er war gut aussehend, sein massiger Oberkörper und die schwarzen Augen zeugten von einem verblüffenden Selbstvertrauen – er verströmt eine geradezu königliche Aura, dachte Sheppard, er sieht aus wie ein jüdischer Heinrich VIII.
    »Lassen Sie uns von vorn anfangen«, sagte Sheppard. »Wo waren Sie heute? Erzählen Sie mir von Ihrem Tag.«
    Er kannte die Fakten, wollte sie aber noch einmal aus Pepins Mund hören, ausgeschmückt und wiederholt, denn er forschte nach den Zeichen: nach den ausgelassenen oder plötzlich hinzugefügten Details, den Widersprüchen, den Lügen und den verräterischen Mikrogesten, mit denen der Körper den Lügner in Sekundenbruchteilen so plump enttarnte wie ein übermütiges Kind, das hinter einem Reporter in die Kamera winkte. Es gab zu viele dieser Anzeichen, um sie alle aufzuzählen: Lügner drehten ihre Schultern oft vom Gesprächspartner weg, sie blinzelten häufig oder spielten mit dem nächstbesten Gegenstand herum, den sie in die Hände bekamen. Wie Schauspieler waren sie auf Requisiten angewiesen. Sie atmeten flach. Ihr Blick wanderte hin und her. Sie schluckten vermehrt, weil ihr Mund trocken wurde. Ihre Pupillen weiteten sich deutlich, so wie der Verschluss einer Kamera. Sie verfügten über ein breites Mimiksortiment, sie rümpften die Nase, kniffen die Lippen zusammen oder verengten die Augen, minimale Anstrengungen, die im Laufe der Zeit Spuren auf der Haut hinterließen, Kerben, deren Deutung man erlernen konnte wie das Lesen von Hieroglyphen. Natürlich wurde eine Lüge erst dann zur Unwahrheit, dachte Sheppard, sobald ein Gegenüber anwesend war. Ein Gespräch, zumal im Rahmen eines Verhörs, war eine unsichtbare, chemische Angelegenheit zwischen zwei Personen, ein Drücken und Ziehen. Auch jene, die bei der Wahrheit blieben, hatten ihre Tics; sie starrten nach links, wirkten in sich gekehrt und wie von der Erinnerung überwältigt. Sie redeten leise und drückten sich nicht unbedingt gewählt aus. In der Tat war gerade solchen Menschen, die schlagfertig und redegewandt waren und ihre Geschichte nahtlos erzählen konnten, am wenigsten zu trauen. Seltsamerweise machten viele Unschuldige den Eindruck, als hätte man sie gerade ertappt.
    »Sind Sie heute Morgen zur Arbeit gegangen?«, fragte Sheppard.
    »Ich hatte es vor, bin dann aber doch nicht hin.«
    »Warum nicht?«
    »Ich wollte meine Frau sehen. Ich hatte eine Überraschung für sie.«
    »Und worin bestand die?«
    »Ein Geburtstagsgeschenk«, sagte Pepin. »Ich hatte Flugtickets gekauft.«
    »Wohin?«
    »Australien.«
    Sheppard zog die Augenbrauen hoch. »Wie lange wollten Sie dort bleiben?«
    »Auf unbestimmte Zeit.«
    »Sie meinen Wochen? Monate?«
    Pepin zuckte die Achseln. »Wir hatten keinen Termin für den Rückflug.«
    Angesichts dieser Enthüllung musste Sheppard seine ganze Willenskraft zusammennehmen, um sich nicht zu der verspiegelten Glasscheibe umzusehen. »Dann war diese Reise schon länger geplant?«
    »Nein«, sagte Pepin. »Eigentlich nicht.«
    »Was denn nun, ja oder nein?«
    »Wir hatten uns letztes Jahr darüber unterhalten. Alice sagte, sie habe immer schon das Great Barrier Reef sehen wollen. Aber ich hatte nichts geplant. Wir hatten nichts geplant.«
    »Dann war es eher eine spontane Aktion?«
    »Ja.«
    »Dafür ist es aber eine ziemlich weite Reise.«
    Pepin zuckte mit den Achseln.
    »Genau genommen handelt es sich nicht einmal um eine Reise«, sagte Sheppard, »sondern um eine Art Dauerurlaub.«
    »So haben wir es nicht genannt.«
    »Wann haben Sie die Tickets gekauft?«
    Pepin ließ sich zurücksinken und schaute betreten zur Seite. »Heute Morgen.«
    Zum ersten Mal während des Verhörs spürte Sheppard ein Kribbeln im Bauch. »Und wann hätte Alice Geburtstag gehabt?«
    »Nächste Woche.«
    »Aber Sie wollten ihr das Geschenk heute schon überreichen?«
    »Ja.«
    »Und Sie konnten sich nicht beherrschen? Konnten es nicht abwarten, bis sie nach Hause kam?«
    »Nein.«
    Sheppard überlegte. »Wann wollten Sie abreisen?«
    »Heute Abend.«
    Sheppard nickte. Er griff nach seinem Bleistift und klopfte damit auf die Tischplatte. »Nun, Mr. Pepin, Sie müssen zugeben, dass das Ganze ein wenig seltsam klingt.«
    »Sie würden es nicht verstehen.«
    »Man lässt nicht einfach so alles stehen und liegen.«
    »Nein, normalerweise nicht.«
    »Man hat schließlich

Weitere Kostenlose Bücher