Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
Vom Netzwerk:
sehr.«
    Das Glück zeigte sich sogar in seiner Abwesenheit.
    Im Februar rief Susan ihn im Krankenhaus an, um ihm zu sagen, dass sie nach Los Angeles ziehen würde, wo sie eine Stelle am Good Samaritarian gefunden hatte. Sie würde noch einmal von vorn beginnen.
    Am Tag vor ihrer Abreise lud er sie zum Mittagessen ins Leystone’s ein und brachte zwei Geschenke mit: eine Wildlederjacke und einen Siegelring mit einem roten Hämatit.
    Er versprach ihr, sie spätestens im März zu besuchen.
    Bis dahin konnte er an nichts anderes denken.
     
    »Manche Leute kennen Gedichte auswendig«, sagte Möbius, »wieder andere berühmte Reden. Ich hingegen kenne Geständnisse. Das Ihre selbstverständlich auch.«
    »Ich habe den Mord an Marilyn nie gestanden.«
    »Möchten Sie es hören?«
    Sheppard rutschte auf seinem Stuhl herum.
    »Ich habe es aus dem Tagebuch, das Sie im Gefängis geschrieben haben.« Möbius räusperte sich. »›Als die Tragödie sich ereignete und noch viele Monate danach verschwendete ich keinen Gedanken an die Liebe, außer an Marilyn, und nie wieder würde ich eine Frau lieben können, wie ich M. geliebt habe. Ich würde nicht ernstlich versuchen, jemals wieder zu lieben. Ich bereute, manchmal nicht zärtlicher zu M. gewesen zu sein und mir zu wenig Zeit genommen zu haben, das häusliche Leben zu genießen.‹«
    Sheppard dachte kurz nach. »Darf ich Ihnen sagen, was ich über die Liebe gelernt habe?«
    »Sicher«, sagte Möbius.
    »Wenn Sie einen Menschen wirklich lieben und von ihm zurückgeliebt werden, braucht es kein Geständnis.«
     
    Irgendwo über der Wüste, auf dem Flug von Cleveland nach Los Angeles, bemerkte Sheppard, dass Marilyn weinte.
    Sie hielt das Gesicht zum Fenster gewandt und weinte so leise, dass es ihm entgangen wäre, hätte sie nicht einmal kurz geschluchzt, und als er sie fragte, was los sei, antwortete sie: »Nichts« – eine Antwort, die sie ihm im Lauf ihrer Ehe schon so oft gegeben hatte, dass er sich wieder einmal wie ein Idiot vorkam. Eine Zeit lang versuchte er, sie zu ignorieren, aber ihr unterdrücktes Weinen presste ihr ein Winseln ab, sodass er sie irgendwann entnervt auf die Toilette schickte. Sie eilte in den rückwärtigen Teil des Flugzeugs, ihr verheultes Gesicht für alle sichtbar, und als die Stewardess vorbeikam, bestellte er zwei Drinks. Er starrte zum Fenster hinaus und auf die Wüste hinunter, die auf dieser wolkenlosen Teilstrecke gut zu erkennen war. Die Größe Amerikas war wieder einmal beeindruckend, und er wunderte sich über das winzige Bauwerk, das unter ihm vorbeizog, ein weißer Fleck, ein auf absurde Weise abgelegenes Haus, das einsam am Ende eines Stecknadelkratzers von Straße stand. Wer wollte an so einem Ort leben? Die Stewardess brachte die Drinks. Er war sich unsicher, was die Ursache für Marilyns Leiden war, vermutete aber, dass es etwas mit der Rückkehr nach Los Angeles zu tun hatte, wo sie ihr Erwachsenenleben begonnen hatten. Sie befand sich vermutlich in einer Art Traumzustand, in den das Fliegen manche Menschen versetzte, und sie begann nun reflexhaft, eine Inventur zu machen und die vier Jahre seit ihrem Umzug Bild für Bild nach Hinweisen auf die Gegenwart abzusuchen. Die Rolle mit den Negativen gehörte ihnen, aber die Bilder, so viel hatte Sheppard gelernt, waren vollkommen verschieden; allein die Kontraste konnten einen Menschen verzweifeln lassen.
    Marilyn kam zurück, setzte sich und hob ihr Martiniglas am Stiel an. Es zitterte in ihrer Hand. »Danke«, sagte sie.
    Den Rest des Fluges verbrachten sie schweigend.
    Das Ärgerlichste an Marilyns Launen war natürlich ihre Unberechenbarkeit; sie brachen ebenso blitzartig über ihn herein wie eine Windbö. Als sie die Treppe hinunterstiegen und auf die Rollbahn traten und das grelle Sonnenlicht ihnen in den Augen wehtat, hielt Marilyn sich im Wind mit beiden Händen den Hut auf dem Kopf fest und rief: »Ich kann nicht glauben, dass wir wieder hier sind!« Auf einmal war sie so fröhlich und aufgekratzt, dass sie sich sogar bei Sheppard unterhakte, eine Geste, die ihn abstieß, so als wäre Marilyn radioaktiv verstrahlt und könnte ihn auf unheimliche Art krank machen. Sie bemerkte seine Reserviertheit nicht, was seinen Widerwillen noch steigerte. Ihre Launen verdrängten ihre Fähigkeit, die Gefühle anderer Menschen wahrzunehmen; ihre Launen waren die Welt. Vor Monaten schon hatte er beschlossen, sich mit diesen Schwankungen lange genug auseinandergesetzt zu haben und endlich

Weitere Kostenlose Bücher