Mister Peanut
glücklich war. Sie ergänzten sich wunderbar als Arbeitskollegen. Alma kontrollierte seine Kontakte zu Produzenten, Freunden und zur Öffentlichkeit mit äußerster Strenge. Hitch war schüchtern, aber er war ebenso ein Showman. Sie ernährte ihn gut – ganz offensichtlich war sie eine gute Köchin –, sie sorgte für sein Wohlbefinden und für optimale Arbeitsbedingungen. Aber sie lebten eher wie Bruder und Schwester zusammen, und die fehlende Nähe kam besonders während Almas Schwangerschaft zum Vorschein. Hitch verabscheute ihre Verwandlung in eine, sagen wir mal, etwas fülligere Frau. Nicht, dass er sich hätte beschweren können, er war selbst ziemlich dick – später mehr dazu –, aber nach der Geburt ihrer Tochter Patricia, die später Schauspielerin wurde und einen ganz wunderbaren Auftritt in Der Fremde im Zug hat, schlief er angeblich nie wieder mit seiner Frau. Nun, Sie alle sind jung, Sie alle sind unverheiratet, deswegen können Sie sich so etwas nicht vorstellen, aber als Reaktion auf das keusche Leben entwickelte Hitch eine intensive Fixierung auf seine Hauptdarstellerinnen, zumeist hübsche Blondinen. Sollten Sie eine Brünette sein und in einem seiner Filme mitspielen wollen, sieht es schlecht für Sie aus. Er machte die Idealisierung und ihre Gefahren zu seinem Thema, auch dazu später mehr. Und was für eine Namensliste da zusammenkommt: Madeleine Caroll, Ingrid Bergman, Janet Leigh, Eva Marie Saint, Kim Novak, Tippi Hedren, um nur einige zu nennen. Wer kann es ihm da übel nehmen, sich verliebt zu haben? Und am meisten natürlich in Grace Kelly – angeblich eine Nymphomanin. Na los, schwärzen Sie mich ruhig bei der Verwaltung an. Ich bin zu alt, um rausgeschmissen zu werden oder mich noch für Political Correctness zu interessieren …
Etwas habe ich vergessen. Mal sehen. Ah ja, das Essen. Hitch und das Essen. Sein ganzes Leben lang hatte er mit seinem Gewicht zu kämpfen, es ging ständig rauf und runter. Manchmal verlor er fünfzig Kilo einfach so, nur um sie sofort wieder zuzulegen. Zu seinen schwersten Zeiten wog er weit über hundertvierzig Kilo. Für ihn war Hunger eine Art Spannung, Spannung in ihrer grundlegendsten Form. Einmal sagte er, niemals könne er mit einem Ofen ohne Fenster in der Klappe leben, denn wenn er ein Soufflé zubereite und auf die Klingeluhr warten müsse, um zu erfahren, ob es aufgegangen war, dann würde die Spannung ihn umbringen. Und es funktionierte als Ersatz – das Essen, meine ich – für Sex. Er musste seine innere Leere füllen, so wie wir alle, nicht wahr? Ich persönlich fülle sie mit Liebe. Ich verliebe mich einmal pro Jahr. Meine Frau macht das verrückt. Nun …«
Auf der Leinwand wurden Frauen unter der Dusche erstochen, auf Sesseln erwürgt, in Zügen erdrosselt, in verspiegelten Brillengläsern ermordet; sie wurden von Kirchtürmen geschubst, von Möwen angegriffen und von ihren Liebhabern und von Fremden, die ihnen zu Hause auflauerten, Grace Kelly beispielsweise von einem Mann, der hinter einem Vorhang heraustrat, während sie telefonierte.
»Wir müssen uns mit der Terminologie des Films beschäftigen«, sagte Otto. »Nehmen Sie sich bitte von jedem der herumgereichten Stapel ein Blatt. Das zweite ist der Seminarplan. Aber bevor wir in die Filmgrammatik einsteigen, möchte ich Sie mit einem wichtigen Ausdruck bekannt machen plus ein paar visuellen Motiven, die Sie im Gedächtnis behalten sollten. Sie sollten sich diese Motive notieren, selbst wenn Sie aus diesem Seminar aussteigen werden. Denn wenn Sie sie einmal kennengelernt haben, wird sich Ihnen Hitchcocks Werk öffnen wie eine Blüte.
Zunächst wäre da der MacGuffin. Um es einfach zu sagen: Er setzt die Handlung in Gang und versinkt gleich darauf in der Bedeutungslosigkeit. Nehmen Sie Die 39 Stufen . Hannay, der Held, lernt in einem Londoner Tanzsaal eine Frau kennen, die behauptet, eine von Mördern gejagte Agentin zu sein. Man sei hinter ihr her, weil sie, wie sie behauptet, hinter einen Plan zum Diebstahl von britischer Militärtechnologie gekommen sei, hinter das Geheimnis der, natürlich, 39 Stufen. Noch am selben Abend kommt sie in Hannays Apartment ums Leben, woraufhin dieser gezwungen ist, seine Unschuld zu beweisen. Er jagt durch Schottland und durch ganz London bei dem Versuch, das Rätsel zu lösen, das mit der eigentlichen Filmhandlung allerdings nichts zu tun hat. In Wahrheit geht es um das massive Vertrauensproblem zwischen Held und Heldin. Das ist das Schöne am
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