Mister Peanut
belegt, das am nächsten Tag beginnen sollte und zu dem David sich mit wenigen Tastenschlägen anmeldete.
Das Seminar kreiste hauptsächlich um das Thema weibliche Identität und untersuchte das Frauenbild in den Medien der Fünfzigerjahre, insbesondere der »Hausfrau aus der Vorstadt und der berufstätigen Großstädterin«, wie Dr. Constance Petersen erklärte (eine umwerfend schöne Frau, wie David fand). »Bedenken Sie einmal«, intonierte sie, »die zunehmende Größe beider Gruppen und die gegenläufigen soziologischen und psychologischen Mechanismen, und das bei fast neunzehn Millionen Frauen mit Berufsausbildung, die damals auf den Arbeitsmarkt drängten, und das in einem Jahrzehnt, in dem June Cleaver als die ideale Frau und Hüterin der letzten Bastion des Glücks und der Sicherheit gefeiert wurde: dem Vorstadthäuschen.« Die Studentinnen lachten, und David, der einzige Mann im Saal, stimmte schüchtern mit ein, wohingegen das Gelächter seiner Kommilitoninnen selbstgefällig und wie mit einem Hauch Wut gewürzt klang. »Zudem werden wir uns auf die ständigen Bemühungen der männlich geprägten Medien konzentrieren«, fuhr die Professorin fort, »diese janusköpfige Venus durch die Verbreitung gesellschaftlich akzeptierter, aber oftmals herabwürdigender Tropen und sexualisierter Bilder zu assimilieren oder gar zu unterwerfen , Bestrebungen, die bis zum heutigen Tag mit Gewalt überfrachtet sind – wenn Sie so wollen, eine Gruppenvergewaltigung durch die Irren aus der Madison Avenue. Die letztendlich zu einer Befindlichkeit geführt hat, die ich ›protofeministische Schizophrenie‹ nennen will.« Die Dozentin beschrieb eine Geisteskrankheit, die sich auf Frauen beschränkte und deren moderne Symptome in ihrer Vielzahl unüberschaubar waren: Bulimie, Magersucht, Übergewicht und Unfruchtbarkeit, ganz zu schweigen von der unbestrittenen Zunahme medikamentös behandelter Depressionen – »Prozac und Lithium«, erklärte sie, »wurden zum Power-Snack der Damen, egal, ob berufstätig oder nicht, für die unterjochten Heimchen am Herd ebenso wie für die karrieregeile Zicke.« Zudem sei die weibliche Selbstmordrate von 1950 bis heute gestiegen, befeuert von dem gescheiterten Versuch, zwei konkurrierende, einander womöglich ausschließende Lebenskonzepte unter einen Hut zu bringen.
Das Seminar begann mit einer Analyse des berühmten Sheppard-Mordfalls und seiner medialen Aufbereitung, insbesondere durch Dorothy Kilgallen, eine viel beschäftigte Kolumnistin, deren Name aus vielen großen Zeitungen verschwand, nachdem sie geschrieben hatte, die Staatsanwaltschaft habe Sheppards Schuld nicht nachweisen können und auch sonst schlampig gearbeitet. »Die aufmüpfige Lady wurde zum Schweigen gebracht, mundtot gemacht«, sagte Dr. Petersen, womit sie bei Hitchcock angelangt war. »›Halt den Mund‹, lautet die von Jimmy Stewart wiederholt an Grace Kelly gerichtete Aufforderung, wenn sie in Fenster zum Hof ihre Meinung äußert. Dabei wird sie als beruflich erfolgreiche – sie arbeitet als Einkäuferin für diverse große Warenhäuser – und sexuell fordernde Frau dargestellt, die sich, ganz anders als ihr verkrüppelter Geliebter, dessen Impotenz suggeriert wird, nicht – ich wiederhole, nicht – in Liebesphantasien ergeht, sondern die Liebe im wirklichen Leben anstrebt. Und anders als ihr emotional sadistischer Freund ist sie in der Lage, sich frei zu bewegen, anstatt die Welt nur als Voyeur zu beobachten und virtuell zu kontrollieren. Eine visionäre Arbeit über die Frau und ihr Ringen um Identität als Frau und als Berufstätige. Für diejenigen von Ihnen, die den Film nicht kennen: Es geht um einen Fotografen, der acht Wochen lang in seiner Wohnung festsitzt, weil er sich während eines Einsatzes das Bein gebrochen hat. Um sich die Zeit zu vertreiben, beobachtet er die Mieter im Haus gegenüber. Er fühlt sich von seiner Freundin, Grace Kelly, in seiner Freiheit bedroht, weil diese heiraten möchte. Also überträgt er seine Mordphantasien auf den Vertreter von gegenüber, der seine Frau tatsächlich umgebracht hat. Bemerkenswerterweise lief Das Fenster zum Hof nur einen Monat nach Bekanntwerden des Falles Sheppard an. Der Film lief im Kino, während der Prozess stattfand. So sah sich das weibliche Publikum einem verdoppelten Horrorszenario ausgesetzt, tagsüber dem ersten Medienrummel des Jahrhunderts, der nach der Ermordung einer Hausfrau – jung, sportlich, hübsch, ein Statussymbol – durch
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