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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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nur das Ei. Erst letztes Wochenende ist mir ein bratendes Ei in Nahaufnahme aufgefallen, in Mondsüchtig . Aha, dachte ich, subtiles Huhn! Ganz zu schweigen davon, dass alle Figuren des Films entweder vor der Liebe oder vor dem Tod davongelaufen sind wie kopflose Hühner.« Er richtete die Fernbedienung auf den Projektor und dimmte das Licht ein wenig. »Und Ihre nächste Frage lautet natürlich: Warum? Warum, Dr. Otto, taucht in jedem Film ein Huhn auf? Nun, das werde ich Ihnen leider nicht sagen können. Wozu sollte ich Ihnen die Pointe meiner Forschungsarbeit verraten?« Er dimmte das Licht noch weiter herunter. »Eine Schwachstelle meiner Theorie ergibt sich natürlich aus dem Umstand, dass sie einerseits die gesamte Filmgeschichte abdecken will, ich andererseits aber noch nicht jeden Film, der je produziert wurde, gesehen habe. Und ständig werden neue Filme gedreht. Ich werde niemals ein Ende finden!« Wieder stieß er sein feuchtes Grobi-Lachen aus. Die Studenten lachten ebenfalls, während er sich die Spucke abwischte, nur David wagte es kaum zu atmen. »Wollen wir anfangen? Oh, warten Sie«, sagte Otto, »ich muss Ihre Anwesenheit kontrollieren.«
    Endlich rief er auch ihren Namen: Alice Reese.
    Dann machte er das Licht aus. Und kurz bevor es dunkel wurde, drehte Alice sich auf ihrem Platz um, den Stift immer noch im Mund und den Spiralblock immer noch zugeklappt, und schaute zu David hinauf. Falls sie auf ein Lächeln wartete, wurde sie enttäuscht; er brachte keines zustande, er war so schockiert, dass er nicht einmal blinzeln konnte.
    Otto richtete die Fernbedienung auf den Projektor und wandte sich zur Leinwand um. Ein Bild von Hitchcock selbst erschien, in der Hand hielt er eine Filmklappe mit der Aufschrift Psycho . »Meiner Ansicht nach«, sagte Otto, »ist Alfred Hitchcock der Shakespeare des modernen Kinos. Der Vergleich funktioniert auf zahlreichen Ebenen, und der Umstand, dass beide Künstler britischer Herkunft waren, ist noch nicht einmal der interessanteste. Nein, es ist die schiere Bandbreite von Hitchcocks Werk, die Vielfalt seiner Menagerie, die Unterschiedlichkeit seiner Figuren, sein Pathos, die Leichtigkeit, mit der er alle Genres beherrscht, von der Tragödie bis zur Komödie, vom Splatterfilm zur Satire, vom Actionfilm zur Farce, einhergehend mit seinen unermüdlichen Bestrebungen, jedes Genres zu revolutionieren, sein spielerischer Umgang mit den Zuschauern, mit den Erwartungen – ganz zu schweigen von seiner Schaffenskraft, seiner überwältigenden Schaffenskraft! Beinahe sechzig Filme, Stummfilme und Tonfilme, Schwarz-Weiß-Filme und Technicolor, sogar ein paar 3-D-Filme sind dabei. Und dazu kommen dann noch seine Fernsehfilme.«
    Es folgte eine Sequenz von Bildern ohne Ton, Filmausschnitte in Schwarz-Weiß, dann Bilder in prächtigen Farben.
    »Wo wir schon vom Stummfilm sprechen« – er lachte über seinen eigenen Witz –, »Hitch sagte immer, er versuche, reines Kino zu machen. Er wollte Geschichten erzählen, die allein das Medium Film vermitteln kann. Seine Erfahrungen als Drehbuchautor und als Stummfilmregisseur haben ihn gelehrt, den Dialogen gegenüber misstrauisch zu bleiben – nicht der Tonspur, wohlgemerkt, er war unglaublich erfindungsreich, was den Einsatz von Geräuschen anging. Dennoch war es das Bild, das Bild als Ausdrucksform, dem sein vorrangiges Interesse galt, und bei der Komposition seiner Bilder überließ er nichts dem Zufall. Vom ersten Film an – Nummer dreizehn , er wurde nie vollendet – ließ er von jeder Einstellung ein Storyboard anfertigen, bevor er sie drehte. Stellen Sie sich bitte die Akribie dieser Planung vor. Von jeder Einstellung! Er pflegte zu sagen, einen Film zu drehen, sei eigentlich der langweiligste Teil seiner Arbeit, denn in seinem Kopf sei der Film zu diesem Zeitpunkt bereits fertig.« Otto drehte sich zur Leinwand, dann wieder zu den Studenten. »Außerdem hat er einmal gesagt, dass er keine Schauspieler möge, dass er sie für Vieh halte.« Wieder das schludrige Lachen, die wischende Hand. »Er hat selbst Vieh besessen. Vieh und Ölfelder. Die hat Hitch als Steuerschlupflöcher gebraucht, als er reich wurde. Das habe ich mir nicht ausgedacht.« Er schaute zur Leinwand, dann wieder zu den Studenten. »Wo war ich?«
    »Reines Kino«, sagte jemand.
    »Vielen Dank.« Er hielt die Sequenz bei einem Schwarz-Weiß-Bild an: ein von hinten aufgenommenes Taxi, das durch eine Londoner Straße kurvte. Durch die Bullaugenfenster konnte man

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