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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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Zerstreuten hinbekommen. Sein Haar war innerhalb der letzten fünf Monate ergraut und ließ ihn nicht wie sechsunddreißig aussehen, sondern zehn Jahre älter. Der Mund in seinem schlaffen, vom zugelegten Gewicht nach unten verzogenen Gesicht schien permanent verkniffen. Schlimmer noch, er wirkte so apathisch wie die Killer, die er verhörte, eine Erkenntnis, die ihn mehr als alles andere erschreckte. Serienmörder litten unter einer speziellen Gefühlskälte. Man spürte sie schon vor dem Gespräch, sie eilte den Männern als physische Druckwelle voraus. Hinter ihren Augen klebte eine dicke, undurchdringliche Schicht, ihr Blick war so stumpf wie der eines Hais. Diese Männer, dachte Hastroll, ließen sich von der Liebe nicht berühren.
    Er ließ den Kopf auf die Arme sinken und weinte bitterlich über das, was aus ihrem Leben geworden war.
    Er weinte, weil er sich in der hintersten Ecke seines Apartments verstecken musste, um zu weinen.
    Er weinte so heftig, dass es klang, als schnappe jemand vor Lachen nach Luft.
    Er weinte, bis von ihm nichts übrig war als Geräusch.
    Und da erschien Hannah in der Tür.
    Sie trat aus der Dunkelheit des Flurs, als tauche sie aus einem schwarzen Pool auf. Ihr Anblick – ihre unvorhergesehene Erscheinung – erschreckte ihn zu Tode. Sie schien halb zu schlafen, durcheinander wie ein Kind, das aus dem Bett geholt wurde. Für einen Moment stand sie blinzelnd und auf wackeligen Beinen vor ihm. Dann streckte sie die Arme nach ihm aus, massierte seinen Nacken, lehnte sich an ihn. »Schscht«, machte sie, »schscht, ist ja schon gut.« Als ihre Hand ihn berührte, bekam er einen winzigen Stromschlag und zuckte zusammen. Sie war die Hexe, die das Leid über ihn gebracht hatte, die den bösen Fluch jederzeit aufheben und ihn retten konnte, und nun kam sie her, um ihn in der Höhle, in der sie hauste, willkommen zu heißen. Als er sie vor sich aufragen sah, unermesslich mächtig in ihrer Doppelnatur, bekam Hastroll noch mehr Angst.
    »Was ist denn?«, fragte sie.
    »Ich halte es nicht mehr aus«, flüsterte er.
    Sie rückte noch näher heran, und er wandte sich beschämt ab.
    »Was hältst du nicht aus, mein Schatz?«
    »Es ist, als wärst du gar nicht mehr da.«
    Sanft schob sie einen Arm über seine Schulter, stützte sich auf ihn, drückte ihre Nase an sein Ohr, stupste ihn an. Sie hatte ein süßliches Parfum benutzt, aber ihr Atem roch ranzig. »Siehst du«, sagte sie, »nun hast du es endlich verstanden.«
     
    Detective Hastroll und Detective Sheppard saßen am Kaffeetresen im Borders, einem Buchladen im Time-Warner-Gebäude, und observierten die Telefonkabine neben den Toiletten. »Vielleicht die letzte von ganz Manhattan«, hatte Sheppard gewitzelt. Von hier aus war Pepin angerufen worden. »Nur zu meinem Verständnis«, hatte Sheppard gesagt, »zuerst rufen wir den Pager dieses Typen an?«
    »Genau«, sagte Hastroll.
    »Und dann warten wir ab, ob er uns von dieser Telefonzelle aus zurückruft?«
    Hastroll wählte schon. »Und dann verhaften wir ihn.«
    Er tippte seine Nummer ein und legte das Handy auf den Tresen.
    Sie saßen stundenlang herum und gingen abwechselnd zur Toilette oder einen Happen essen.
    »Wie geht es Hannah?«, fragte Sheppard schließlich.
    »Gut, danke.«
    Hastroll und Sheppard vertrieben sich die Zeit damit, Pepins Romanmanuskript zu lesen, wobei Ersterer jede gelesene Seite an Letzteren weitergab und immer wieder versucht war, von Hannahs Schwangerschaft zu erzählen. Dann wiederum hätte er jedem wildfremden Menschen lieber davon erzählt als Sheppard – jedem, nur nicht Sheppard. Früher oder später würde er es ohnehin erfahren. Hastroll konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass man sich, hatte man so viel Glück gehabt, seine Liebe nicht zu verlieren, der Prahlerei schuldig machte, wenn man auch noch darüber redete – egal, wie großzügig die Haltung des Zuhörers in dieser Frage war.
    Er und Sheppard aßen Sandwiches mit Lachs und Crème fraîche, tranken Cola light und warteten stundenlang, ohne dass irgendjemand die Telefonkabine betrat. Er war zutiefst davon überzeugt, den Verdächtigen hier verhaften zu können, und er malte sich aus, wie der Mann wohl aussehen würde. Vielleicht war er dürr und kahl und koboldköpfig wie James Carville; entrückt stammelnd, verschlagen, ein Unsympath wie John Malkovich vielleicht. Als am frühen Abend tatsächlich ein Mann stehen blieb, um einen Anruf zu machen, erhob Hastroll sich; das Handy in seiner

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