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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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Kissen arrangiert hatte. Sobald sie damit fertig war, schaute sie zu ihm auf, wobei sie fast in der Horizontalen liegen blieb und es ihm vorkam, als stelle er den Kaffeebecher auf einer Leiche ab. Wenn sie trank, führte sie ihre Lippen zum Becher statt umgekehrt. Sie bedankte sich und schaltete das Radio ein. Zusammen saßen sie im heller werdenden Zimmer. David wartete, bis sie vollständig wach war, um sie zu fragen, wie sie geschlafen hatte. Sofern einer von ihnen etwas geträumt hatte, berichtete er davon, wobei Alice meist mehr zu erzählen hatte als er und sich auf seine Interpretationskünste verließ. Irgendwann sagte sie: »Ich muss aufstehen.« Sie duschte und zog sich für die Schule an, während er noch einen Kaffee trank, die Zeitung von der Fußmatte auflas und sich ein Ei kochte. Wenn er über das brodelnde Wasser gebeugt stand, fiel ihm ein, dass sein Leben eine Abfolge immer gleicher Vormittage war, ein stetig wachsender Haufen Eier, deren Schalen inzwischen den Küchenboden bedeckten und sich längst auch auf die anderen Zimmer verteilt haben mussten. Er setzte sich in die Frühstücksnische am Fenster, hinter dem die Hausdächer in der aufgehenden Sonne oder im Regen glänzten oder von Schnee bedeckt waren. Er arbeitete sich unter dem Summen von Alice’ Fön von den Schlagzeilen über die Meinungsseite und den Sportteil bis zum Satellitenfoto mit der landesweiten Wetterschau voran, wobei er den Politikteil und alle langen Artikel übersprang. Dann erfolgte eine Phase der Stille, wenn Alice sich schminkte. Danach betrat sie die Küche, vollständig bekleidet und als die Person, die sie an diesem Tag sein würde. Niemals hatte er sie an einem Wochentag frühstücken sehen, auch wenn sie den Kühlschrank jeden Morgen öffnete und einen flüchtigen Blick hineinwarf. Sie verabschiedete sich, gab ihm einen Kuss und ging. In der Stille des Apartments frühstückte er zu Ende, duschte, zog sich an, machte das Bett, spülte das Geschirr und ging ebenfalls zur Arbeit.
    Existierte Alice während all dieser Zeit? Fragte sie sich ihrerseits, ob er existierte? Im Laufe des Vormittags rief sie von der Schule aus an. Normalerweise besprachen sie bei dieser Gelegenheit das Abendessen, sie einigten sich auf ein Menü, beteuerten einander ihre Liebe. Während des restlichen Tages kam sie ihm kaum noch in den Sinn. Auf dem Rückweg ging er beim Supermarkt vorbei. Wenn er nach Hause kam, saß sie vor dem aufgefalteten Politikteil oder ihrem Laptop in der Küche und aß eine Kleinigkeit. Zunächst sprachen sie dann wenig. Sie war den ganzen Tag von Kindern umgeben gewesen und wollte für eine Weile ihre Ruhe haben. Wenn er sich im Winter einen Whiskey und im Sommer einen Wodka einschenkte, ließ das Klirren der Eiswürfel im Glas die Umrisse der Stille hervortreten. Er trank einen Schluck und hörte zu, wie sie die Zeitungsseiten umblätterte. In einem nicht näher definierten Moment schaltete er das Radio ein und fing zu kochen an. Während des Abendessens erzählten sie einander von ihrem Tag, aber manchmal wurde David bewusst, wie erschreckend wenig er über ihr Leben wusste und umgekehrt. Während sie sich abschminkte und sich die Zähne putzte, spülte er das Geschirr ab. Im Schlafzimmer zog sie ihren Pyjama an, es war der Moment des Tages, an dem er sie garantiert nackt zu sehen bekam. Ihr Anblick erinnerte ihn daran, dass ihre Nacktheit ihm ab einem gewissen Punkt nicht mehr wundersam erschienen war. Und doch lockte ihre Robert-Crumb-Üppigkeit ihn an, ihre watteweichen, kopfkissengroßen Brüste, die allein durch ihre Ausmaße und ihre perfekte Form seine Aufmerksamkeit erregten, er wollte sein Ohr gegen ihre Brust drücken und ihrem Herzschlag lauschen, der nicht weniger erstaunlich war als das Meeresrauschen in einer Muschel. Wenn seine Frau zum Bett herüberkam, begann sein eigenes Herz vor Vorfreude schneller zu schlagen; er beobachtete, wie Alice sich der Matratze näherte wie ein Kind einem Schwimmbecken, denn das Eintauchen erforderte genauso viel innere Überwindung wie logistische Planung: Sie zog ein Knie an, ließ sich auf die ausgestreckten Hände fallen und anschließend langsam in Davids Richtung sinken, wobei die Sprungfedern quietschten und ihr Gewicht eine Kuhle in die Matratze drückte, in die David ein Stück weit hineinrollte. Legte sie einen Arm auf seine Brust, bekam er das Gefühl, ein Holzscheit zu tragen. Sie schauten fern; in den Werbeblöcken tauchte kein einziger dicker Mensch auf,

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