Mistreß Branican
wann sie zurückkehrten.
Es fiel nun Mr. William Andrew die schwere Aufgabe zu, der Mrs. Branican den Untergang des »Franklin« mitzutheilen. Aber man war übereingekommen, daß er ihr das erst dann sagen sollte, wenn ihr Geist stark genug wäre, diesen neuen Schlag zu ertragen. Er mußte sogar dafür sorgen, daß sie Alles nur nach und nach erfahre, woraus sie dann selbst den Schluß ziehen konnte, daß Niemand den Schiffbruch überlebt habe.
Die Passagiere hatten Mrs. Branican erkannt. (S. 78.)
Die Erbschaftsangelegenheit wurde ebenfalls auf eine spätere Zeit verschoben, denn Mrs. Branican würde früh genug erfahren, daß sie ein Vermögen besitze, welches ihr Gatte nicht mit ihr theilen konnte.
Während der folgenden vierzehn Tage stand Mrs. Branican in gar keiner Verbindung mit der Außenwelt. Mr. William Andrew und der Dr. Brumley waren die Einzigen, die bei ihr Zutritt hatten. Das Fieber, welches anfangs sehr heftig auftrat, nahm allmählich ab und sollte wahrscheinlich bald ganz verschwinden. Der Arzt hatte sowohl aus Gesundheitsrücksichten, als auch um der Beantwortung aller Fragen zu entgehen, welche die Kranke stellte, ihr befohlen, das größte Stillschweigen zu beobachten. Ueberhaupt vermied man vor ihr jede Berührung der Vergangenheit, was ihr nur immer verrathen konnte, daß seit dem Tode ihres Kindes, seit der Abreise ihres Mannes vier Jahre verflossen waren. Während einiger Zeit galt für sie nicht das Jahr 1879, sondern 1875.
Ueberhaupt hegte Dolly nur einen Wunsch oder vielmehr eine natürliche Ungeduld, sobald wie möglich einen Brief von John zu erhalten. Da sie dachte, daß der »Franklin« bald in Calcutta ankäme, wenn er überhaupt nicht schon dort war, so würde das Haus Andrew bald durch ein Telegramm in Kenntniß gesetzt werden; die überseeische Post werde nicht lange auf sich warten lassen.. Dann würde sie selbst, sobald sie die Kraft hätte, an John schreiben… Ach! was sollte sie ihm schreiben?… Es wäre der erste Brief, den sie ihm seit ihrer Hochzeit schreiben würde, da sie nie vor der Abfahrt des »Franklin« getrennt waren… Ja, wie viel Trauriges würde dieser erste Brief enthalten!
Und nun erinnerte sie sich an die Vergangenheit, und sie beschuldigte sich, den Tod ihres Kindes herbeigeführt zu haben!… Dieser unglückselige Tag, der 31. März, fiel ihr ein… Wenn sie das Kind zu Hause gelassen hätte, so würde es heute noch leben!… Warum hatte sie es mit auf das Schiff genommen?… Warum hatte sie den Vorschlag des Capitän Ellis nicht angenommen, an Bord des Schiffes zu bleiben bis zum Quai von San-Diego?… Das fürchterliche Unglück hätte sich nicht ereignet!… Und warum hatte sie auch in einem unüberlegten Augenblicke das Kind aus den Armen der Amme gerissen, gerade als der Dampfer sich plötzlich wendete, um nicht zusammenzustoßen!… Sie war gestürzt, und das Kind war ihr aus den Armen gefallen… Ihr, der Mutter… und sie hatte nicht den Gedanken gehabt, es fest zu halten… Und als der Matrose sie an Bord getragen hatte, war das Kind nicht mehr in ihren Armen!… Armes Kind, das nicht einmal ein Grab hatte, über dem seine Mutter weinen konnte!
Alle diese Bilder, die an ihrem Geiste vorüberzogen, gaben ihr nicht jene Ruhe, der sie so bedurfte. Ein heftiges Delirium, hervorgerufen durch einen neuen Fieberanfall, machte Dr. Brumley sehr viel Sorge, zum Glück ging diese Krisis aber vorüber und verschwand endlich ganz. Man hatte nichts mehr wegen des geistigen Zustandes der Mrs. Branican zu fürchten. Der Augenblick kam heran, wo Mr. William Andrew ihr Alles sagen wollte.
Sobald Dolly ihrer Wiedergenesung entgegenging, durfte sie das Bett verlassen; man legte sie auf eine Chaiselongue an den Fenstern ihres Zimmers, von wo sie den ganzen Golf von San-Diego überblicken konnte. Hier verharrte sie stundenlang unbeweglich.
Dann wollte Dolly an John schreiben, denn es drängte sie, ihm Alles von dem Kinde zu erzählen, das er nicht mehr wiedersehen würde; sie schüttete so ihren ganzen Schmerz aus in einem Briefe, den ihr Gatte nie erhalten sollte.
Mr. William Andrew nahm den Brief in Empfang und versprach, ihn nach Indien zu schicken, worauf Mrs. Branican wieder ziemlich ruhig wurde und nur in der Hoffnung lebte, auf directem oder indirectem Wege über den »Franklin« Nachricht zu erhalten.
Aber dies konnte nicht so fort gehen, denn Dolly mußte früher oder später, und zwar aus der großen Vorsicht erkennen, daß man ihr etwas
Weitere Kostenlose Bücher