Mit 11 erobert man die Welt
Zeit sowieso nicht.“
„Unsinn!“ widersprach Mami heftig. „Nur wenn man von vorneherein schon erwartet, daß der Tag gräßlich sein wird, geht einem alles gegen den Strich. Man muß positiv sein, fröhlich und gespannt auf das, was sich an diesem Tag ereignen könnte. Jede Stunde kann plötzlich ein Wunder geschehen!“
„Zum Beispiel das Wunder, daß unter unserer Tür Wasser rauskommt“, mischte sich Celia mit wichtiger Miene ins Gespräch. „Es wird immer mehr.“
„Wasser? Wo?“ Mami sprang alarmiert auf und rannte zur Tür, unter der sich ein dünnes Rinnsal zeigte, das in die Küche sickerte und seinen Weg am Herd vorbei zum Eßtisch suchte.
Auch Katja war aufgesprungen und folgte eilig der
Mutter in den Flur. „Es kommt aus dem Bad! Wetten, das waren mal wieder die Zwillinge!“
„Die Wette hast du gewonnen.“ Mami riß die Badezimmertür auf und blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Die Waschmaschine hatte gerade den ersten Spülgang beendet und pumpte die Reste der Seifenlauge aus der Trommel. Der Abflußschlauch, der normalerweise in die Badewanne hing, lag am Boden wie eine seekranke Schlange und gab mit gequälten Zuckungen kleine Mengen gelblicher Brühe von sich. Der Badezimmerfußboden war zentimeterhoch mit Waschlauge bedeckt.
Mami machte einen Flechtsprung zur Waschmaschine, stellte sie ab und riß den Stecker aus der Dose. Zugleich ergriff Katja den Schlauch und legte ihn in die Wanne zurück. Celia war ihnen gefolgt und betrachtete von der Tür aus fasziniert die riesige Überschwemmung.
„Wenigstens werden die Teppiche mal sauber“, stellte sie fest und zog sich zurück, ehe jemand sie um eine Hilfeleistung bitten konnte. „Tschüs, ich muß weg!“ Katja sandte der Schwester einen wütenden Blick nach. „Ich bleibe natürlich bei dir und helfe dir!“ beteuerte sie. „Warte, ich hol schnell den Eimer.“
„Irrtum, mein Schatz, du gehst auch in die Schule. Mit dem Wasser werde ich schon allein fertig. Mein Gott, hoffentlich ist es nicht schon bei Frau Haubenstock unten durch die Decke gekommen!“
An der Wohnungstür klingelte es Sturm.
„Das ist sie schon!“ riefen Mami und Katja wie aus einem Munde.
„Okay, ich geh dann lieber“, murmelte Katja und verdrückte sich ebenfalls.
Auf den lautstarken Empörungsausbruch von Frau Haubenstock konnte sie gut verzichten. Mami wurde mit so etwas erstaunlich gut fertig. Entweder sie würde jetzt selbst die total Verzweifelte spielen, oder sie würde die alte Dame, die im Untergeschoß wohnte, mit so geballter Fröhlichkeit empfangen, daß ihr die Wut im Hals steckenblieb.
Katja kam gerade noch rechtzeitig in den Unterricht. Mathe bei Herrn Bieler. Bieler, die Schnellfeuerwaffe, da mußte man höllisch aufpassen, damit man den Faden nicht verlor. Er konnte richtig eklig werden, wenn er einen beim Schlafen im Unterricht ertappte.
Während der Schulstunden hatte sie die Katastrophe am Morgen fast vergessen. Erst auf dem Heimweg mit den Freundinnen fiel ihr das überschwemmte Badezimmer wieder ein, und sie gab die aufregende Story mit etlichen Ausschmückungen zum besten.
„Manchmal erfüllen sich die verborgensten Wünsche!“ beendete sie ihren Bericht. „Die Haubenstock ist solch eine Giftnudel, der habe ich schon lange mal eine kalte Dusche gewünscht!“ Katja kicherte. „Tjaja. Meine Mutter hat heute früh gesagt, man muß jeden Tag auf ein Wunder warten. Wie recht sie hatte.“
Zu Katjas Verblüffung empfing Mami sie in der Küche mit genau diesen Worten. „Erinnerst du dich, was ich dir heute früh gesagt habe? Dieser Tag hat noch mehr Überraschungen für dich auf Lager. Es ist zwar nur eine kleine, aber ich denke, sie bringt ein bißchen Licht in den grauen November.“
Mit diesen Worten überreichte sie Katja einen Brief. Einen Luftpostbrief aus Kanada. Katja machte einen Freudenhüpfer.
„Mann! Der erste Brief seit acht Wochen! Super. Von Susan, hast du gesehn?“
Mami lachte. „Klar. So neugierig war ich nun doch, daß ich mir den Absender angeschaut habe. Himmel, die Suppe kocht über! Was für ein Tag...“
Katja achtete nicht auf sie. Sie ließ Mantel und Tasche fallen, wo sie stand, und riß den Umschlag auf. Der Brief war nicht von Susan, die hatte nur einen kleinen Gruß an den Rand gekritzelt. Der Brief war von Susans Eltern. Ohne lange Vorrede kamen sie zur Sache: Sie würden sich freuen, Katja für die Weihnachtsferien zu sich nach Kanada einladen zu dürfen. Inklusive Flug und
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