Mit 50 hat man noch Träume
Landfrauenverein, sie war eher unauffällig und schüchtern, aber sein Vater
war ihr an besagtem Morgen unangenehm aufgefallen. Sie hatte immer noch sein wutentbranntes
Gesicht und die geballten Fäuste vor Augen.
»Phh, mein
Vater kann mich mal …« Er dachte an die Auseinandersetzungen mit ihm, die meist
lautstark endeten. »Er geht mir voll auf den Zeiger, wenn er so über die Wangs herzieht.
Die haben schließlich keinem etwas getan. Aber in der Hinsicht ist er unverbesserlich.
Und …« Ben seufzte tief.
»Ja?« Caro
sah ihn fragend an.
»Ich glaube,
er ist unberechenbar. Ich traue ihm nicht.«
22
Das dumpfe Gefühl unter dem Motorradhelm,
das sie empfand, als sie mit Mei Ling durch die Landschaft sauste, schaffte eine
Distanz zur Außenwelt, die ihr zu absolut vorkam. Entschlossen klappte sie das Visier
hoch und hielt den Kopf in den Fahrtwind, der ihr fast sofort die Nasenlöcher verschloss
und das Gefühl in ihr weckte, gleich zu ersticken. Ihr Kopf wurde von der Kraft
des Luftstroms nach hinten gedrückt, sodass sie mit aller Anstrengung die Nackenmuskeln
anspannen musste, um ihn zurück in die Ausgangsposition zu bringen. Geduckt hinter
Mei Lings Rücken und daher geschützt, ließ es sich besser atmen. Mei Ling fuhr schnell.
Bea nahm den Hauch frisch gemähten Grases wahr, das als silbrig grüner Farbstreifen
an ihnen vorüberglitt, mehr als dass sie es sah, und den würzigen Duft frisch gegrillten
Fleisches. Nach langen, kühlen Regentagen waren die Temperaturen endlich gestiegen
und die Menschen nutzten jede Gelegenheit, um sich draußen aufzuhalten. Sie selbst
hatte heute ihren freien Tag und anstatt nach Köln zu fahren, wo sie eigentlich
zum Friseur gehen wollte, hatte sie kurz entschlossen Mei Lings Einladung zu einer
Motorradtour angenommen. Sie hatte heute ebenfalls frei und wollte ihr ein wenig
von der Umgebung zeigen. Die Strecke, die sie ausgesucht hatte, führte von Altenahr
über Ahrbrück hinauf nach Lind, von dort nach Schuld, weiter in Richtung Daun und
anschließend Richtung Vulkanmaare. In den Gepäcktaschen hatten sie alles verstaut,
was sie für ein Picknick brauchten, und Bea knurrte bereits der Magen, obwohl sie
gerade einmal eine halbe Stunde unterwegs waren.
»Geht es
auch etwas langsamer?«, brüllte sie nach vorn, in der Hoffnung, dass Mei Ling sie
hörte. Die vielen Kreuze am Wegesrand hatten sich in ihr Hirn gebrannt, und es war
bereits zweimal passiert, dass ein anderer Motorradfahrer ihnen in einer der unübersichtlichen
Kurven geradezu entgegenflog. Mei Ling lehnte sich etwas zurück, wandte den Kopf
und schrie über die Schulter: »Angst?«
»Ein bisschen!«,
brüllte Bea zurück. »Langsamer wäre mir lieber!«
Mei Ling
drosselte die Geschwindigkeit, und Bea konnte sich aus der Rückendeckung begeben
und entspannt umschauen. Weich geformte, in unterschiedlichem Grün bewachsene Hügel
erweckten in ihr den Eindruck, als schliefen aneinandergekuschelte Dinosaurier einen
Jahrtausendschlaf. Ihre Silhouetten hoben sich blaugrün voneinander ab, und der
längste von ihnen streckte seinen Rücken in einer langen, gebogenen Linie dem Horizont
entgegen, so als ob er die Schnittstelle zwischen Himmel und Erde wäre. Sie fuhren
gemächlich an Wiesen vorbei, auf denen schweifwedelnd Haflinger weideten, und hin
und wieder kamen sie an Kühen vorbei, die sie neugierig anglotzten. Es war eine
liebliche Landschaft, eine echte Idylle. Beas Brust wurde weit. Sie spürte ein Gefühl
tiefer Dankbarkeit in sich aufsteigen, das sie schließlich ganz erfüllte. War es
nicht schön zu leben? Im Grunde hatte sie es immer gewusst. Bea atmete tief durch.
Die letzten
Wochen waren trotz aller Zuversicht schwierig gewesen. Die Eröffnung des ›Ahrstübchens‹
konnte man nur als Reinfall bezeichnen, Best Promotion vermisste sie mehr,
als ihr lieb war, und die Einwohner Altenahrs schienen sich bis auf wenige Ausnahmen
nicht mit ihnen und ihrem Restaurant anfreunden zu können. Dieter Schmitz und sein
Stammtisch kehrten bei ihnen ein, die Landfrauen, der Junggesellenverein, was sie
nicht überraschte, und hin und wieder ein paar Touristen, aber das war es auch schon.
Sie und ihre Freundinnen hatten lange darüber nachgedacht, was die Einheimischen
abschreckte, aber sie waren zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Manche begegneten
ihnen mit einer Mischung aus distanzierter Neugier, einige aber auch mit offener
Ablehnung, darunter vor allem die Frauen. Bea vermutete, dass sie schlicht und
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