Mit 50 hat man noch Träume
er überhaupt noch nicht gemerkt, dass hinter der Qi-Gong-Partnerin eine attraktive
Frau steckt. Eine, die nach Jahren der Abstinenz Lust auf einen Mann hat. Hast du
ihm das auch nur ansatzweise einmal zu verstehen gegeben?«
»Nein.«
Bruni fragte sich, warum eigentlich nicht. Lag es daran, dass er Chinese war? Dass
er jünger war? War ihr Selbstwertgefühl so schwach? Mit zusammengepressten Lippen
gestand sie sich ein, dass es im Grunde genommen die Angst davor war, abgelehnt
zu werden. Die letzte Liebesbeziehung, die sie gehabt hatte, lag Jahre zurück, und
es war die Beziehung zu einer Frau gewesen, einer Kollegin von der Uni.
»Dann leg
dich mal ein bisschen ins Zeug.«
Bruni sah
Caro verblüfft an. »Und wie?«
»Wirf endlich
diese Rollkragenpullis weg. Trag mal ein T-Shirt mit Ausschnitt, Männer stehen drauf,
glaube mir. Nackte Haut ist immer gut. Und dann gibst du ihm zu verstehen, was du
von ihm willst. Ein schönes Dekolleté hast du doch?«
Bruni musste
plötzlich lachen. Mit spitzen Fingern zog sie den Kragen ihres Sommerrollis vom
Hals und versuchte, mit angewinkeltem Kinn einen Blick darauf zu werfen. »Ich denke,
es sieht noch ganz gut aus«, sagte sie.
Caro lachte
ebenfalls. »Besitzt du Pumps?«
»Nein.«
»Dann wird
es höchste Zeit.«
Ȇber alles
können wir reden, aber nicht über Pumps.« Bruni grinste. »Obwohl …die Vorstellung,
in Stöckelschuhen morgens am Ahrufer Qi Gong zu machen, das hat was …« Nach einem
Moment sagte sie: »O.k., wir gehen shoppen. Aber unsere Probleme miteinander und
mit dem ›Ahrstübchen‹ sind damit noch lange nicht gelöst.«
»Nein.«
Caro fühlte wieder den Kloß im Hals und sagte: »Deswegen schlage ich vor, dass wir
jetzt runtergehen und uns endlich alle einmal aussprechen. Was meinst du?«
»Ja, ich
glaube, das sollten wir tun«, erwiderte Bruni, erhob sich und reichte Caro die Hand.
»Unsere Probleme sollten alle auf den Tisch. Abreisen kann ich auch morgen noch.«
34
Bea schloss die Augen, presste die
Lider zusammen und stellte im Geiste die Frage, die sie am meisten beschäftigte.
Dann warf sie das Orakel mit eckiger Bewegung, hastig und ungelenk, wobei die Geste
ihre Angst davor auszudrücken schien, diesem Unsinn Glauben zu schenken. Die Hölzer
fielen klackend in einer bizarren Anordnung auf den Boden, dann herrschte Stille.
Sie und Mei Ling beugten die Köpfe darüber und starrten einen Moment auf das vor
ihnen am Boden liegende Gebilde. Beas halblanges Haar verdeckte ihr Gesicht.
»Sieht interessant
aus«, meinte Mei Ling nach einer Weile und legte die Stirn in Falten. Im Innern
des Tempels sprach sie unbewusst leise. Vielleicht vertrug Buddha, auch wenn es
sich über dem Altar um den lachenden Buddha handelte, der Glück und Wohlstand brachte,
keine allzu lauten Stimmen und erwartete huldvolle Ehrerbietung.
Bea strich
sich nervös über den Hals. »Ich kann nichts damit anfangen.«
»Ich auch
nicht«, erwiderte Mei Ling und fügte hinzu: »Aber genau dafür gibt es ja Interpretationshilfen.«
Sie prägte sich das Bild des Orakels ein, ging hinüber zur Wand, an der ein hölzerner
Kasten mit Papierstreifen hing und zog nach einigem Suchen und Blättern einen Streifen
daraus hervor.
Eine gewisse
Spannung ergriff von Bea Besitz, die dazu führte, dass ihre Hände unruhig und feucht
wurden. »Na, hast du etwas herausgefunden?« Mit dem Kopf deutete sie Richtung Orakel.
»Ich glaube,
ich habe den falschen Papierstreifen erwischt.« Mei Ling verglich die gezeichnete
Orakelanordnung auf dem Papier mit den vor ihnen liegenden Stöckchen, schüttelte
den Kopf und ging noch einmal zum Holzkasten zurück. Nach einem Augenblick kehrte
sie mit einem anderen Stück Papier in der Hand wieder.
»Hier steht
frei interpretiert …« Aufmerksam sah sie Bea an: »Nur wenige Kilometer entfernt
von dir gibt es jemand, der eine wichtige Rolle in deinem Leben spielen wird.«
»Aha.« Bea
dachte sofort an Johannes Frier. Sie wagte fast nicht, es sich einzugestehen, aber
sie hoffte jeden Tag, dass er wieder anrufen würde. Bislang hatte sie der Versuchung
widerstanden, selbst zum Hörer zu greifen. Sie wollte unnahbar bleiben, nicht zu
eindeutig werden, und damit der geheimnisvollen Anziehungskraft zwischen ihnen noch
mehr Tiefe verleihen. Der Abend in Köln, im ›Kap am Südkai‹ und der flüchtige Kuss,
den er ihr zum Abschied gegeben hatte, beflügelten ihre Fantasie.
»Warte,
das war noch nicht alles.« Mei Ling sah auf.
»Dann spann
mich
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