Mit 80 000 Fragen um die Welt
aus Plastik, und in meinem Plastikbecher schwimmt eine gelbe Flüssigkeit, die den Namen Orangensaft nicht verdient. Sie schmeckt auch irgendwie nach Plastik. Daneben steht ein Plastikbecher mit lauwarmem Kaffee. Auf meinem Plastikteller liegt eine Art Hefebrötchen, das in heißer Butter gestorben ist. Außerdem ein gelblicher Schleim, der genauso schmeckt, wie er aussieht.
«They serve pretty good breakfast, huh?», ruft der Mann neben mir. Er trägt ein rotes Holzfällerhemd, Oberlippenbart und, ja wirklich, einen Cowboyhut. Frühstücksbuffet im Holiday Inn Express, dem besten Hotel von Huntsville/Texas.
«You like Grits?», fragt der Cowboy und meint damit den Schleim auf meinem Teller. Nein, ich hasse das Zeug, aber ich muss ja nicht gleich sein Urvertrauen erschüttern. Ich nicke, lächle ihm freundlich zu und rühre die Pampe trotzdem nicht an. Das reicht ihm, und vermutlich hätte er sich ohnehin nicht für eine ehrliche Antwort interessiert.
Texas liegt im sogenannten Grits Belt von Amerika, im Schleimgürtel der Südstaaten. Er reicht angeblich bis Virginia, und der Bundesstaat Georgia soll das Mus sogar zum offiziellen Landesgericht erklärt haben. Aber das sind hoffentlich nur Gerüchte, denn Grits nennen die Amerikaner einen Brei aus Mais und komplett ohne Geschmack. Er sieht aus wie Grießbrei, ist aber viel flüssiger. Es gibt ihn inGelb oder Weiß, und seine Herstellung ist simpel. Wenn er gelb ist, dann besteht Grits aus ganzen gemahlenen Maiskörnern. Ist die Pampe auf dem Plastikteller weiß, dann hat der Koch geschälten Mais verwendet. Und so können Sie gelben oder weißen Grits zu Hause nachkochen: Den Mais in heißes Wasser werfen und warten, bis daraus Schleim geworden ist. Fertig.
Grits ist ein typisches Gefängnisessen.
Und Huntsville, die Stadt, in der ich Grits gerade kennenlerne, ist vermutlich der größte Grits-Konsument weltweit. Der Ort wird von den Amerikanern «Prison City» genannt – sie ist berühmt ist für ihre sieben Gefängnisse. 36 000 Menschen leben in Huntsville, und wer hier nicht im Knast sitzt, der arbeitet im Knast. Neben Grits ist das vielleicht der Grund, warum es mir hier nicht gutgeht. Huntsville ist ein übler Ort.
Keine Chance, in Huntsville/Texas ein Gefängnis zu filmen. Du kannst die Zeit stoppen, die der Sheriff braucht, um dich abzuräumen. Dann weißt du, warum der Bundesstaat überall mit
Don’t mess with Texas
wirbt: «Leg dich nicht mit Texas an.» Wir haben es ausprobiert.
«What are you guys doin’ here?»
Beim ersten Knast läuft die Kamera noch gar nicht, schon stehen uns zwei bewaffnete texanische Vollzugsbeamte gegenüber. Mit «you guys», also «ihr Typen», eröffnen Texaner übrigens fast jedes Gespräch: «Wo kommt ihr Typen her?», «Wo wollt ihr Typen hin?», «Was macht ihr Typen hier?». Sie finden sich offenbar besonders lässig, wenn sie «you guys» sagen.
«We’re journalists from Germany», antworte ich, aber natürlich nützt das nichts, denn wir haben keine Drehgenehmigung, und dummerweise stehen wir mitten aufdem Privatparkplatz des Gefängnisses. Wir müssen also das Gelände verlassen und probieren es eine Meile weiter am nächsten Zuchthaus. Diesmal aus wesentlich größerer Entfernung von öffentlichem Gelände aus, und jetzt läuft es besser. Thomas kann eine Weile drehen, und ihm gelingen sogar ein paar erstaunliche Aufnahmen von berittenen Wachleuten mit Cowboyhut, die ihre Insassen wie Rindvieh umherscheuchen. Es sieht aus wie im Wilden Westen. Falsch, es
ist
der Wilde Westen. Denn nach ein paar Minuten bekommen wir Besuch: zwei Pick-ups, drei Polizisten und der Sheriff höchstpersönlich. Leg dich nicht mit Texas an.
«What are you guys doin’ here?»
Der Sheriff ist zwei Meter groß, mindestens genauso breit und trägt einen Bart, der im weltweiten Bartregister als «Henriquatre» firmiert. Schnurrbart plus Kinnbart, an beiden Seiten die Mundwinkel hinunter zusammengewachsen. Wer sich so einen Bart stehen lässt, möchte entweder besonders fies aussehen oder sucht nachts Anschluss in den Darkrooms der Schwulenbar um die Ecke. Der Sheriff von Huntsville sieht aus wie der Ledertyp von den Village People. Aber er will nicht tanzen.
«We’re journalists from Germany!»
Doch nun komme ich mit der Masche leider nicht weiter. Nein, auch nicht mit großen blauen Augen. Der Sheriff bäumt sich vor uns auf und beginnt einen Vortrag, dem ich zwar nicht folgen kann, in dem aber bedrohlich oft das Wort
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