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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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«Videotape» auftaucht. Der Wachtmeister will unsere Drehkassette konfiszieren. Da hört der Spaß auf. Kameras sind die Ehefrauen der Filmer und Kassetten ihre ungeborenen Kinder. Beide beschützen sie mit ihrem Leben, beide geben sie für kein Geld der Welt her. Ich sehe die Panik in Thomas’ Gesicht, aber auch etwas anderes.
    «Sir, give me your videotape!», raunt der Sheriff. Thomas zögert ein wenig, und plötzlich kann er kein Englisch mehr. «What mean? Video?», stammelt er. «We Germany! No understand, we Germany!»
    Das ist genial. «Germany!», stimme ich ein. «No understand! We Germany Television.» Der Sheriff und seine drei Begleiter sehen uns fragend an. «No understand. What mean? Video?», quasseln wir jetzt beide im Chor, und dann passiert das Merkwürdige. Der Sheriff lässt uns ziehen. Mit Videotape. Und wünscht dabei noch einen schönen Tag: «Have a good one, you guys!»
    Ich habe etwas gelernt: Wenn du in den USA auf Probleme stößt, dann stell dich einfach dumm. So dumm es eben geht. Und behaupte, dass in Deutschland eh alles ganz anders sei.
    «Sir, Sie sind zu schnell gefahren!»
    «Ach wirklich? Das wusste ich nicht. Wissen Sie, in Deutschland haben wir kein Speedlimit.»
    «Sir, machen Sie die Kamera aus! Sie brauchen eine Drehgenehmigung!» – «Ach wirklich? Das wusste ich nicht. Wissen Sie, in Deutschland haben wir keine Drehgenehmigungen.»
    «Sir, wir wissen, wer Sie sind. Und Sie verschwinden hier!»
    Diesmal funktioniert die naive Tour überhaupt nicht. Denn vor mir steht kein Wald-und-Wiesen-Sheriff, sondern ein Wachmann der Walls Unit, des weltweit berüchtigten Hinrichtungsknasts von Huntsville/​Texas. Die Frage war nun mal «Wie stirbt es sich in Texas?», und die Antwort wird nicht lustig.
    «We’re journalists from Germany!»
    Man kann es ja mal probieren. Aber keine Reaktion.
    «Germany, Television! No understand!»
    Wieder nichts.
    «Entschuldigen Sie, ich hatte versucht, Ihre Pressestelle zu erreichen, aber   …»
    «Sir, Sie verschwinden jetzt! Ich werde nicht mit Ihnen diskutieren. Und wenn Sie nicht sofort verschwinden, dann stecke ich Sie in den Knast!»
    Mich in den Knast stecken? Das kann er doch nicht. «Doch, das kann er», sagt Carroll Pickett, ein Pfarrer, mit dem ich vor der Walls Unit verabredet bin. «Einem Freund ist das schon passiert. Er war dabei, als hier ein paar Leute gegen eine Hinrichtung demonstriert hatten. Eine Frau ist über die Absperrung gefallen, und mein Freund wollte ihr helfen. Dann haben sie ihn einfach in den Knast gesteckt.»
    «Wirklich?»
    «Wirklich. Willkommen in Texas.»
    Carroll Pickett ist ein ernster Mann, irgendetwas quält ihn. Er trägt einen schwarzen Anzug, ein hellblaues Hemd und Krawatte. Seine getönten Brillengläser kaschieren dunkle Höhlen, die etwas verbergen. Carroll Pickett hat Dinge gesehen, die niemand sehen möchte. Dinge, die kein Mensch verkraften kann. Pickett ist ein gebrochener Mann.
    Sechzehn lange Jahre war er Death House Chaplain in der Walls Unit. Am Tage ihrer Exekution begleitete der Gefängnispfarrer die Sträflinge auf ihren letzten zehn Treppenstufen hinauf in das Todeshaus, wo ihnen die Giftspritze gesetzt wurde. Pickett ist diese zehn Stufen 95   Mal gegangen.
    «Jemand hat meinen Vater erschossen. Und ich war überzeugt, dass der Mörder meines Vaters den Tod verdient hat. Und all die anderen verdammten Mörder auch!»
    Carroll Pickett muss ein starker, beeindruckender Mann gewesen sein. Einer, der mit fester Stimme Sonntag fürSonntag seine texanische Gemeinde zum Beben brachte. Und man kann sich vorstellen, wie Pickett mit wehenden Fahnen in das Todesgefängnis einzog, um seinen Vater und alle anderen Mordopfer zu rächen. Aber heute redet Pickett leise.
    Seine Hand deutet auf die Kreuze hinter uns. Wir stehen mittlerweile auf dem Friedhof des Gefängnisses. Ein ruhiger Ort – sanft und unheilvoll. Es sieht aus wie auf den weitläufigen Gräberfeldern der Weltkriege. Ein Wald aus Steinkreuzen – grau, gleich und anonym. Die Regierung von Texas hat es jahrelang abgelehnt, die Steine zu markieren und den Hingerichteten ihren Namen zu geben. In die neueren Kreuze sind ein paar Nummern eingraviert und ein «X» für «exekutiert». Auf manchen Grabstellen liegen Kränze und ein paar Blumen. Die meisten sind leer. Niemand besucht die Gräber von Mördern.

    «Ich habe viele von diesen Jungs sterben sehen, und die meisten waren einfach nur arme Schweine. Zurückgebliebene Menschen, die

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