Mit 80 000 Fragen um die Welt
effektive Attacke gegen feindliche Infanterie, oder «Lor Pan» – Elefant gegen Reiter: «Zerbrich den Speer, zerquetsche das Pferd, zerstöre den Reiter.»
Vor langer Zeit waren Mahuts die Elitetruppe des Königs, sie lebten mit den Elefanten, zogen mit ihnen in den Krieg und starben an ihrer Seite. Heute würde eine Panzerdivision nur müde über Kriegselefanten lachen. Das thailändische Nationaltier hat kaum noch einen Nutzen und wird auch immer seltener zur Feldarbeit eingesetzt.
«Deshalb muss ich das Wissen der Mahuts weitergeben. Wenn keiner mehr weiß, wie man einen Elefanten kontrolliert, dann werden die Elefanten eines Tages wütend und töten Menschen. Und dann werden die Menschen wütend und töten die Elefanten. Es ist so wie mit den Drachen. Vor Tausenden von Jahren haben deine Vorfahren in Europa Seite an Seite mit Drachen gelebt und sind mit ihnen durch den Himmel geflogen. Aber eines Tages habt ihr die Tiere einfach vergessen. Die Drachen sind böse geworden, und ihr habt sie alle umgebracht.»
Die Sonne geht unter, und ich kehre zurück zu Gatin, führe sie an einem Ohr zurück auf ihre Schlafwiese und lege ihr noch einen Bambussnack für die Nacht hin. Dann streichele ich ihr Gesicht und blicke ihr ins Auge. Gatin weint. «Du bist so weit», sagt Michelle. «Morgen früh wirst du Gatin reiten. Aber vorher möchte dich noch jemand kennenlernen.»
Die Prinzessin. Yugala Rangsinoppadol will mir eine Audienz gewähren. Oder sagen wir: Ihre Majestät zitiert mich zur Audienz. Michelle erzählt mir, die königliche Dame habesoeben erfahren, dass ich aus Deutschland komme. Und Deutschland interessiere sie sehr. «Aber sei höflich! Wenn du zu ihr gehst, dann falte deine Hände und verbeuge dich zur Begrüßung. Vergiss das nicht. Und noch eins: Sie stellt die Fragen. Du antwortest. Nicht umgekehrt.»
Etwas aufgeregt folge ich Michelle zwischen zwei kleine Bambushütten. Dort sitzt Yugala an einem Campingtisch, rauchend und deutlich angeheitert. Neben ihr steht ein Keyboard. Ich will mich verbeugen, aber Yugala unterbricht mich.
«Sit down here and play!», brüllt sie. Nein, sie krächzt. Die Prinzessin muss mindestens zwei Packungen am Tag verqualmen. Sie sieht nicht nur aus wie Mickey Rourke, sie hat auch seine Stimme. «Spiel deutsche Lied!! Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn, bleib nicht zu lange fort!»
Tatsächlich hatte ich ein paar Jahre Klavierunterricht und bringe den alten Durchhalteschlager ganz passabel über die Tasten. Aber warum spricht die Prinzessin Deutsch? «Ich hatte deutsches Kindermädchen», blafft Yugala und schlägt mir auf den Arm. «Spiel, spiel!», ruft sie, und ich spiele. Auf Wiedersehen, Ännchen von Tharau, Heidschi Bumbeidschi. Erst bietet mir Yugala frittierte Kartoffelecken an, später Zigaretten, dann übergibt sich ihr Hund. Ein großartiger Abend. «Sie sind die coolste Prinzessin auf diesem Planeten», sage ich, und Yugala bittet mich, sie eines Tages in ihrem Palast zu besuchen. Ich falle ins Bett und zersäge meine Bambushütte. In der Hand halte ich eine königliche Visitenkarte. Ganz in Gold.
Es gibt zwei Arten, auf einen Elefanten zu steigen. Variante eins: «Leg Mount». Der Elefant zieht ein Vorderbein an, du stellst dich darauf, hältst dich an einem Elefantenohr fest und kletterst auf das Tier. Variante zwei: «TrunkMount», die Königsvariante. Ich probiere sie am nächsten Morgen. Der Elefant senkt seinen Rüssel, du stellst dich darauf, fasst beide Ohren, und während das Tier den Rüssel hebt, läufst du flink darüber bis auf den Kopf, drehst dich und lässt dich im Nacken des Elefanten nieder. So weit die Theorie. In der Praxis ist das alles erheblich schwerer. Ich stelle mich auf den Rüssel, fasse beide Ohren, aber schaffe es nicht im Ansatz, leichtfüßig bis hoch auf das Haupt zu laufen. Stattdessen hievt mich der Elefant in die Höhe, ich rutsche wie ein nasser Sack auf seinen Rücken, und jemand muss mich drehen, bis ich endlich in Fahrtrichtung im Nacken von Gatin Platz nehmen kann.
«Jetzt ruf HUAH!», brüllt Michelle.
«Huah.» Gatin rührt sich keinen Zentimeter.
«HUUAAHH!! So wie ein Mann!»
«HUUUAAAHHH!», brülle ich, und Gatin setzt sich in Bewegung.
«Huah!» bedeutet in thailändischer Elefantensprache: Vorwärts! «Toi!» ist das Kommando für rückwärts, und wenn du mit dem Fuß leicht gegen das linke oder rechte Ohr deines Elefanten trittst und «Ben!» rufst, biegt das Tier nach links ab. Oder eben nach rechts.
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