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Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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jemandem aus der Ersten Flotte verwandt. Zweitbeste Option: Du hast Sträflinge im Stammbaum. Je mehr, desto besser.»
    Verbrecherjagd in der Familiengeschichte. Kevin hat aus dieser australischen Obsession ein Business gemacht und die Lebenswege aller Sträflinge verfolgt, die hier in Sydney gelandet sind. Gegen ein bisschen Geld, umgerechnet zwanzig Euro, verrät er dir, ob auch in deinen Adern Verbrecherblut fließt. «History Services: Bringing the Past to Life» – Kevin sagt, sein Geschäft laufe ausgezeichnet.
    «Das heißt also, die Leute suchen nach Identität?»
    «Natürlich, wir sind ein Volk von Migranten. Und jeder möchte wissen, woher er eigentlich kommt. Die einzigen Australier, denen es nicht so geht, sind die Ureinwohner, die Aborigines. Aber das ist eine andere Geschichte.»
    Und genau die kehren die Australier gerne unter den Teppich. Sie passt nicht zum netten Image des Landes, zu den Surfern, den Bikinis und den süßen Koalabären. Niemand weiß genau, wie lange die Aborigines schon in Australien lebten, als die Engländer einfielen. Und niemand weiß, wie viele es waren. Fest steht nur: Die Siedler machten mit ihnen kurzen Prozess. Direkt: Sie knallten sie ab. Indirekt: Sie brachten Pocken, Influenza und andere Krankheiten ins Land.
    Und heute? Schon mal in den USA einen Indianer gesehen? Ähnlich schwierig ist es, in Australien einen Aborigine zu treffen. Manchmal sitzt einer an den Fährterminals im Hafen von Sydney und verkauft CDs. Er hat Didgeridoo-Musik mit Techno vermischt, und das Ergebnis ist Geschmackssache. Ansonsten wirst du als Tourist kaum auf einen Ureinwohner treffen. Es sei denn, du fährst in die Slums, wo viele unter Dritte-Welt-Bedingungen leben. Mitten in einem der reichsten Länder der Erde.
    Eine einzige Veranstaltung hat die Stadt Sydney den Aborigines am Australia Day freundlich genehmigt: «Wog gan Ma Gule» – die Morgenbegrüßung im botanischen Garten. Keine Kriegsschiffe, keine Kampfhubschrauber, keine Salutschüsse. Nur ein Kreis aus Sand, um den einhundert Zuschauer stehen. Darin tanzen Frauen, Männer und Kinder, sie haben Haut und Haare mit Asche eingerieben, tragen rote und gelbe Tücher.
    Ihre Tänze erzählen Geschichten. Von Gawura, dem Wal. Von Baruwaluri, dem Delfin. Von Wubin, dem Opossum. Und von der Regenbogenschlange, die Himmel und Erde erschaffen hat. Damals, in der Traumzeit, als alles begann. Als die Ahnen der Aborigines über den Kontinent wanderten und Traumpfade hinterließen, auf denen ihre Nachfahren durch Australien zogen. Bis weiße Männer die Pfade mit Eisenbahnschienen zerschnitten.
    Eine Stunde lang singen die Aborigines die immer selbe Melodie. Ein Lied aus nur drei Akkorden, die erst Tänzer und dann das Publikum in Trance versetzen. Du magst kein einziges Wort verstehen, aber du spürst genau, worum es geht.
    Ich hatte erwartet, dass sich die Tänzer politisch korrekt äußern, wenn ich sie frage, ob der Australia Day für sie ein Grund zum Feiern sei. Ich hatte gedacht, dass sie den Veranstaltern sicher nicht auf die Füße treten werden.
    «Wir nennen diesen Tag Survival Day, weil wir den Genozid überlebt haben!», ruft einer. «Ich nenne ihn Invasion Day», sagt ein anderer, «es war eine Invasion, nichts anderes.» Eine freundliche ältere Dame im roten T-Shirt wird noch deutlicher.
    Frage: «Sind alle Australier Verbrecher?»
    Antwort: «Nein, ganz und gar nicht. Aber viele sind Rassisten.»
    «Weißt du was?», fragt ein Mann mit Zahnlücke undFedern im Haar. Er steht etwas abseits und raucht. «Wir Aborigines haben den höchsten Bevölkerungsanteil in den Gefängnissen hier, dabei sind wir nur eine Minderheit, gerade mal zwei Prozent. Aber in manchen australischen Knästen sind neunzig Prozent der Insassen Aborigines.»
    Das heißt also, die Aborigines sind die heutigen Verbrecher? Oder bin ich einer, weil ich gerade in einer Ladezone parke? Absolutes Halteverbot. Es geht nicht anders, ich habe einen Termin. Und zwar dort, wo man sich mit Verbrecherfragen auskennt.
    Zu Gast bei Deputy Commissioner Dave Owens, im Polizeipräsidium. Der kahlköpfige Wachtmeister möchte vor seiner Pressewand interviewt werden, eine blaue, zusammenklappbare Fläche mit dem Symbol der Polizei darauf. Das Plastikungeheuer rücken sie grundsätzlich bei jedem Fernsehinterview in den Hintergrund, damit alle Bilder gleich platt und langweilig aussehen. Eigentlich ein Verbrechen.
    «Sagen Sie, warum ist die Gefängnisrate bei den Aborigines so

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