Mit 80 000 Fragen um die Welt
get ’em behind! Get ’em loose!» Die Hunde kreisen um die Herde, und langsam kommen die Schafe näher. Vonallen Seiten rücken sie an mich heran, bis die weiße Wolke mich ganz umschließt. Dann passiert es. Die Wolke fängt an, sich zu drehen. Ich weiß nicht, wie Blue das anstellt, aber plötzlich beginnen alle Schafe im Kreis zu rennen. Sie laufen tatsächlich um mich herum. Ganz friedlich. So als würde der Wind sie treiben. Ich versuche, die Schafe zu zählen. Eins, zwei, drei, verdammt, sie sind zu schnell. Es müssen über hundert sein.
«Weißt du, wie wir hier in Neuseeland Schafe zählen? Du treibst sie in einen Stall, öffnest das Tor und lässt sie in Zweiergruppen an dir vorbeilaufen. Dann zählst du zwei, vier, sechs, acht und so weiter. Wenn du die Hundert erreicht hast, streckst du einen Finger der linken Hand aus und beginnst wieder mit zwei, vier, sechs, acht. Bei fünfhundert bückst du dich, nimmst einen Stein vom Boden und legst ihn auf den Zaun. Und weiter geht’s!»
Nichts leichter als das, denke ich mir, öffne das Tor und lasse die Schafe an mir vorbeilaufen. Zwei, vier, sechs, acht, zehn – hoppla, das waren drei. Dreizehn, fünfzehn – halt, nicht so schnell! Achtzehn, zwanzig – jetzt drückt doch nicht so gegen das Tor! Ach herrje, eins ist über das Tor gesprungen.
«Zählst du auch noch?»
«Ja doch! 82, 84, 86 …»
Ich hatte mir Schäfchen zählen irgendwie entspannter vorgestellt. Blue erlöst mich und schließt das Tor.
«Wie viele?»
«Einhundert!»
«Und acht.»
«Hundert und acht? Ich habe acht verpasst?»
«Jap. Weiter geht’s!»
Ich probiere es ein zweites Mal, aber es wird nicht besser. Im Gegenteil. Diesmal läuft mir alles aus dem Ruder. Ich verpasse etwa dreißig Schafe und gebe auf.
«Sagen Sie, wie viele Schafe haben Sie in Ihrem Leben schon gezählt?»
«Mein Rekord liegt bei 5000.»
«5000? Wirklich?»
«Ja, aber danach musste ich eine Pause einlegen. Nur so zwanzig Sekunden, um mich zu sammeln.»
«Ach, man wird davon blöd?»
«Nein, aber die Schafe hypnotisieren dich. Wenn das passiert, musst du sofort aufhören und dich fragen: Wo bin ich?»
«Und wie viele Schafe gibt es in Neuseeland?»
«Hm …»
Na gut, nur der Herr hat sie gezählet. Man sagt aber, dass auf jeden Neuseeländer genau siebeneinhalb Schafe kommen– das macht dreißig Millionen Viecher. Noch mehr Lust auf Zahlen? Okay: Blue behauptet, auf den Hügeln seiner Farm gebe es 10 000 Schafe. Also 12 000 Lämmer und 300 000 Kilogramm Lammfleisch im Jahr. Ein gigantisches Schafimperium. Und jetzt ist klar, warum Blue ganz ohne Subventionen mit seinen europäischen Kollegen mithalten kann. Er schlägt sie durch Masse. Er braucht keine Ställe. Und sein Gras ist immer grün, es schifft hier das ganze Jahr.
Die Neuseeländer sagen, ihre Nation sei auf dem Rücken der Schafe gebaut worden. Und bis heute tragen Schafe, Rinder, Ziegen und das andere Getier fünfzig Prozent der neuseeländischen Wirtschaft. Doch auf dem Rücken der Schafe ist manchmal noch etwas anderes. Oder besser: in ihrem Nacken.
Ich sitze auf einer grünen Wiese in Palmerston North, und vor mir grasen ganz gewöhnliche Schafe mit ganz ungewöhnlichen weißen Plastikbehältern auf dem Kopf. Aus den merkwürdigen Apparaten kommen kleine, durchsichtige Schläuche, die in das Maul der Tiere führen. Was geht hier vor? Zum Glück sitze ich nicht allein auf dem Rasen. Neben mir grast Dr. Harry Clark.
«Was machen Sie bloß mit den Schafen?»
«Tja, ich schätze, die kommen sich sicher blöd vor. Aber im Ernst: Wir messen, wie viel Methangas aus ihren Mäulern kommt.»
«Methan?»
«Ja. Manche denken, es käme hinten raus. Aber das ist falsch. Das meiste Gas kommt vorne raus. Und um dir mal eine Größenordnung zu geben: Die Hälfte aller Treibhausgase Neuseelands stoßen Wiederkäuer aus.»
«Das heißt: Es gibt zu viele Schafe in Neuseeland?»
«Nein, es sind nicht zu viele. Wir müssen nur ihre Ökobilanz aufpolieren.»
Ja, Schafe sind böse. Denn Methan ist angeblich noch dreißig Mal schädlicher für das Klima als Kohlendioxid. Auch manche Menschen produzieren Methan. Der Homo sapiens stößt dieses Gas allerdings tatsächlich hinten aus. Wie man herausfindet, ob der eigene Körper Methangas emittiert? Clark sagt, da gebe es zwei Methoden. Eine wissenschaftliche und eine unwissenschaftliche. Für die unwissenschaftliche Methode benötige man nur ein Feuerzeug.
Ich folge dem
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