Mit anderen Augen (German Edition)
„Gewöhn' dich daran, Jannik. Er hat überlebt, weil ich ihn gebraucht habe. Der nächste wird es nicht.“
„Mein Gott“, flüstert er fassungslos, ohne mich anzusehen, und ich lasse ihn in Ruhe, um auf den Highway zu fahren.
Raus aus Philadelphia und rein ins Nirgendwo. Boston als nächste Station ist gestrichen. Alle Stationen meines Plans sind gestrichen. Ab sofort gibt es nur noch kleine Hotels und Bargeld. Mal sehen, wie weit wir auf diese Weise kommen, bis uns der nächste Killer aufspürt.
Da meine Unterkünfte nicht mehr sicher sind, werden wir es anders machen. Nach Pennsylvania fahren und von dort aus weiter runter bis nach North Carolina. Charlotte hat gute Hotels und einen Flughafen, der täglich verschiedene Ziele in Europa anfliegt, falls wir kurzfristig verschwinden müssen. Außerdem kenne ich einen brillanten Fälscher in Charlotte, der Jannik neue Papiere besorgen kann, denn die braucht er dringend. Sein Name ist zu auffällig, er wird sich an einen anderen gewöhnen müssen.
V
„Jannik Grant?“ Jannik verzieht das Gesicht. „Das erinnert mich an diesen Schauspieler, der damals mit einer Nutte rumgemacht hat.“
Ich habe zwar keine Ahnung, wovon er redet, aber ich muss über seinen Gesichtsausdruck grinsen. Er sieht aus, als hätte ich gerade von ihm verlangt, nackt die Einkaufsstraße von Charlotte entlangzugehen, vor der wir gerade stehen. Das sollte ich mir besser nicht vorstellen, sonst habe ich die nächsten Nächte Alpträume.
Das muss nun wirklich nicht sein, in letzter Zeit ist Schlaf ohnehin Mangelware. Jannik hat den Vorfall mit Yoshiro nicht sehr gut verdaut, aber zumindest schreckt er seit zwei Nächten nicht mehr jede Stunde schreiend aus dem Schlaf. Immerhin etwas. Ich habe nicht versucht, mit ihm darüber zu reden. Dafür bin ich ungeeignet. Irgendwann wird das Thema wieder auf den Tisch kommen, aber im Augenblick scheint er es einfach verdrängen zu wollen, was mir auch ganz recht ist. Es gibt andere Dinge, die wichtiger sind.
Wir sind jetzt eine Woche unterwegs gewesen. Viel länger als nötig, um Charlotte zu erreichen, aber ich brauchte Zeit zum Nachdenken, wie es weitergehen soll und Jannik brauchte regelmäßige Pausen, um endlich seine Grippe, Erkältung oder was auch immer, loszuwerden. Er hat die meiste Zeit im Bett verbracht und geschlafen. Vor drei Tagen, als sein Fieber endlich völlig weg war, habe ich per Mail den Fälscher kontaktiert und gegen einen Batzen Bargeld hat er mir besorgt, was ich wollte. Jannik Whistler ist ab sofort Jannik Grant.
Morgen früh werden wir weiterziehen, aber für die Nacht organisiere ich uns ein Hotelzimmer. Das hat allerdings noch Zeit, denn es ist früh am Morgen und die Geschäfte haben vor ein paar Minuten geöffnet. Sehr praktisch für uns, denn wir müssen einkaufen. Um meinen neuen Fluchtplan in die Tat umsetzen zu können, brauchen wir Kleidung für den Winter und feste Schuhe.
„Sei froh, dass du deinen Vornamen behalten darfst. Normalerweise wechseln wir in solchen Fällen Vor- und Nachnamen.“
Jannik seufzt und steckt den gefälschten Führerschein ein. „Und was jetzt?“
„Wir gehen essen, einkaufen und besorgen uns ein neues Auto sowie ein Hotelzimmer, bevor wir morgen nach Chicago weiterfahren. Dort hole ich Bargeld und miete wieder ein neues Auto für die Fahrt nach Minneapolis. Ich brauche Waffen und habe dort ein Haus.“
Jannik runzelt die Stirn. „Du hast doch gesagt, deine Häuser sind nicht mehr sicher.“
Mit diesem Einwand habe ich gerechnet und er hat Recht. Doch mir bleibt keine andere Wahl, als es zu riskieren. „Sind sie auch nicht, aber ich habe keine Lust mir Waffen auf der Straße zu kaufen und im Laden muss man Papierkram ausfüllen. Also werde ich das Risiko eingehen, dich irgendwo verstecken, und in mein Haus einsteigen.“
Der Plan gefällt Jannik nicht, ich sehe es ihm an, aber er sagt nichts weiter dazu. Noch nicht. „Und dann?“, will er stattdessen wissen.
„Montana.“
„Montana?“, fragt er verblüfft. „Da gibt’s doch nur Berge, Felder und Rinder.“
Eben deswegen ist der Bundesstaat perfekt. „Ganz genau. Montana ist so dünn besiedelt, da finden wir garantiert eine kleine Stadt, wo wir untertauchen können. Außerdem ist es nur ein Katzensprung bis nach Kanada.“
Wobei ich hoffe, dass wir diesen Katzensprung nie nutzen müssen. Es schadet allerdings nicht, einen Notfallplan im Hinterkopf zu haben. Jannik überlegt und er wird mit
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