Mit anderen Augen (German Edition)
Sicherheit gleich darauf kommen, was ich mit dem Vorschlag wirklich bezwecke. Seit ein paar Tagen fängt er an, meine Pläne zu hinterfragen und in Frage zu stellen, wenn sie ihm nicht gefallen. Eine gute Entwicklung in meinen Augen, denn ich will nicht, dass er vor mir kuscht. Das war die ersten Tage auf der Flucht ganz praktisch, ich gebe es zu, aber er ist längst alt genug, eine eigene Meinung zu haben und die soll er gefälligst aussprechen.
„Du spielst auf Zeit, kann das sein?“
Ich wusste, dass er es versteht. „Kluger Junge“, necke ich ihn, was Jannik schnauben und gleich darauf grinsen lässt. „Es ist Herbst und im Winter würde ich gern im Warmen sitzen. Allerdings werde ich das nur an einem Ort tun, von dem ich jederzeit mit dir verschwinden kann. Montana ist dafür perfekt.“
„Mag sein, aber was soll das am Ende bringen?“, fragt Jannik weiter. „Ich meine, wir können doch nicht ewig so weitermachen.“
Das ist mir bewusst. Allerdings haben wir vorerst keine große Wahl. Auf Zeit spielen heißt genau das, nämlich abwarten und hoffen, dass es funktioniert. „Da ich nicht weiß, wer den Auftrag gegeben hat, hoffe ich, dass er mit der Zeit auf uns aufmerksam wird. Ich bin kein Fantast. Mir ist klar, dass in Minneapolis jemand auf mich wartet. Also bringe ich ihn um.“
„Du weißt doch gar nicht...“
Ich unterbreche Jannik mit einem Kopfschütteln. „Wenn ich nicht überlebe, bist du tot. Also gehe ich davon aus, dass ich überlebe. Ich mache diesen Job nicht erst seit gestern und ich vertraue darauf, dass Yoshiro mein Angebot an seinen Boss überbringt. Früher oder später wird die Yakuza darauf reagieren. Wir müssen nur durchhalten, bis sie es tun.“
Jannik sieht frustriert aus. „Woher willst du denn wissen, dass sie es überhaupt tun? Ich meine, kennst du etwa einen Yakuza, der dir deren Regeln verraten hat, oder was?“
„Ich kenne sogar mehr als einen“, gebe ich ehrlich zu, was Jannik mit einem staunenden Blick kommentiert, der mir wieder einmal deutlich vor Augen führt, wie jung und unschuldig er ist. „Die besten Profikiller stammen seit vielen Jahrhunderten aus Asien. Ich habe dort für einige Jahre gelebt und gelernt. Ihre Kultur, ihre Regeln, ihren Sinn für Ehre. Die Yakuza sind nicht nur eiskalte Mörder, sie sind Krieger der alten Schule. Einem starken Gegner erweisen sie Respekt. Immer. Wenn der Mann, der deinen Tod in Auftrag gegeben hat, weiß, wer ich bin und davon gehe ich aus, sonst wüsste er nicht, wo sich alle meine Häuser befinden, dann weiß er auch, wie viele Männer ich getötet habe. Was ich die letzten zwölf Jahre getan habe.“
Jannik sieht mich nachdenklich an. „Du bist ein starker Gegner nach ihren Begriffen, oder?“
„Ja.“
„Und du hoffst, dass der Mann, der hinter all dem steckt, das sehen und zu uns kommen wird oder sich zumindest melden wird, oder?“
Ich habe ja gewusst, dass er schlau ist. „Richtig.“
„Du willst persönlich verhandeln?“
„Ja.“
Jannik tippt sich vielsagend an die Stirn. „Du bist ja verrückt.“
„Ich weiß“, kontere ich trocken, was ihn lachen lässt. Mein Blick fällt auf seine Füße. „Du brauchst übrigens neue Schuhe.“
Das Lachen verstummt abrupt. „Was soll das heißen?“
Ich sehe wieder zu ihm auf. Oh oh. Janniks ganze Körperhaltung ist plötzlich auf Widerstand eingestellt. Ich weiß zwar nicht, was an der Aussage, dass er neue Schuhe braucht, schlimm sein soll, denn seine Turnschuhe sind hinüber und damit für den Winter ungeeignet, aber offensichtlich habe ich Jannik gerade unwissentlich beleidigt.
„Das soll heißen, der Winter steht vor der Tür und deine Turnschuhe fallen bald auseinander.“
Er sieht mich beleidigt an. „Na und? Hättest du mich nicht mitten in der Nacht aus meiner Wohnung gezerrt, weil irgendwelche Verrückten hinter mir her sind, hätte ich mir längst neue gekauft. Mich stören die Turnschuhe nicht.“
Was ist denn jetzt los? Habe ich behauptet, dass mich Turnschuhe stören? Sie sind kaputt, nichts weiter. „Kannst du mir mal erklären, was an der Aussage, dass du Schuhe brauchst, dermaßen verwerflich ist, dass du gerade überlegt, mir an die Gurgel zu springen?“
„Ich bin kein Modepüppchen, das du...“ Jannik bricht abrupt ab und läuft rot an, bevor er mir den Rücken zudreht. „Vergiss es.“
Zu spät. Mir dämmert bereits, was sein Ausbruch zu bedeuten hat. Ein steinreiches Elternhaus, teure Schulen und Klamotten, alles reine
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