Mit anderen Augen (German Edition)
schmerzhafte Brennen an meiner Seite fühle.
Ein Streifschuss. Nicht wirklich gefährlich, aber hinderlich.
Das ist kein Yakuza. Ich weiß nicht, warum ich mir dessen so sicher bin, aber es ist so. Dieser Killer ist ein anderes Kaliber als Yoshiro und er ist schnell, denn mein Messer landet in der Wand und die folgenden Schritte im Flur verraten, dass er auf eine heftige Konfrontation aus ist. Normalerweise würde ich jetzt auf Abstand geben, um meine Lage neu einzuschätzen, aber ich werde ihm keine Blutspur legen und mich auf einen Kampf einlassen, der mich schwächen würde. Ich brauche den Sieg und ich brauche ihn sofort.
Gegen eine Waffe mit Schalldämpfer bin ich mit meinem Messer im Nachteil, solange wir beide im Haus herumschleichen, daher muss ich ihn irgendwie dazu bringen, näher zu kommen.
Der Hausvorteil kommt mir auch dieses Mal zugute, denn dass die Küche von zwei Seiten betreten werden kann, hat der Killer entweder nicht bemerkt oder es war ihm nicht wichtig. Mir verschafft es das, was ich brauche. Ein gutes Versteck, denn neben der hinteren Tür gibt es einen toten Winkel, der von der Küche aus nicht einzusehen ist.
Ich muss nur warten, bis der Killer mir folgt und das tut er weniger als dreißig Sekunden später, um dabei unerwartet in scharfe Klingen zu laufen. Eine trifft den Bauch, die andere seine Lunge. Letztere ziehe ich sofort wieder zurück, um den Hals meines Angreifers ins Visier zu nehmen. Der Killer stöhnt leise auf und seine Waffe fällt klappernd zu Boden, bevor er ebenfalls in die Knie geht. Dabei fällt mir etwas auf. Sein Körper ist weicher, als ich erwartet habe. Zu weich, um ehrlich zu sein. Die Erkenntnis trifft mich wie der sprichwörtliche Schlag.
Ich suche nach dem Lichtschalter und blinzle kurz wegen des hellen Lichts, bevor ich zu Boden sehe. Eine Frau. Sie ist jung. Vermutlich so jung wie ich, als ich den Job begann. Nur wird sie nie fünfunddreißig werden, dafür hat meine Klinge gesorgt. Unsere Blicke treffen sich für einen Moment, dann wende ich mich ab. Sie ist keine Gefahr mehr.
Die Küche sieht genauso aus, wie ich sie eingeräumt habe und auch das Klebeband in der Schublade ist schnell gefunden. Dafür werde ich später bezahlen, sobald es wieder runter muss, aber im Moment reicht es, um die Blutung zu stoppen und zu verschwinden. Drei längliche Stücke verklebe ich über den Streifschuss und lege das Band danach zurück, damit alles so aussieht wie zuvor. Das Gleiche tue ich mit dem geheimen Tresor in der Wand, wo ich finde, weshalb ich angeschossen wurde. Waffen und Bargeld. Für den Transport wird Janniks Rucksack genügen, den ich mitgebracht habe.
Ich gehe zurück zu der Frau, die im Flur liegt und langsam verblutet. Sie hält die Wunde am Hals mit der Hand abgedrückt, aber wir wissen beide, dass das nicht genug ist. Die Schnittwunde ist nicht tödlich, die Stiche in ihren Bauch und ihre Lunge allerdings schon. Sie blutet nach innen und sie weiß es. Ihr Blick verrät es mir. In ein paar Minuten wird sie tot sein. Ich durchsuche die Taschen ihrer Cargohose und ziehe ein Handy und Autoschlüssel hervor. Der Autoschlüssel ist nicht wichtig, das Handy behalte ich in der Hand.
„Soll ich es beenden?“ Es wäre kein Problem, ihr Genick zu brechen, aber sie soll es selbst entscheiden.
„Nein.“ Sie hustet leise. Dabei läuft Blut aus ihrem Mundwinkel. „Sie haben gesagt, dass du gut bist. Ich wollte es nicht glauben.“
Das wundert mich nicht. Sie dürfte etwa Anfang zwanzig sein. In ihrem Alter hielt ich mich für unbesiegbar und war arrogant genug, Warnungen in den Wind zu schlagen. Für solche Fehler bezahlt man. Entweder mit Blut und der schmerzhaften Erkenntnis, es das nächste Mal besser zu machen, oder, wie in ihrem Fall, mit dem Leben.
„Wie heißt du?“
Sie hustet und lacht gleichzeitig. „Ist das wichtig?“
Nein, eigentlich nicht. Jedenfalls war es das nicht, bevor ich Jannik kennengelernt habe. „Für mich schon.“
Sie ist erstaunt über meine Antwort, blickt mich nachdenklich an. „Er hat mir gesagt, dass du dein Herz gefunden hast und deswegen ausgestiegen bist. Stimmt das?“
„Vielleicht“, weiche ich einer direkten Antwort aus, denn ich würde nicht behaupten, dass ich mein Herz gefunden habe. Ich glaube, ich habe gar keins. Aber irgendetwas habe ich offenbar gefunden, sonst wäre Jannik längst nicht mehr am Leben. „Wie heißt du?“
„Michelle.“
Ich lege ihr das Handy in die freie Hand. „Leb' wohl,
Weitere Kostenlose Bücher