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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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konnten. Außerdem war es ein Hinweis auf seine Verdienste für die Hamburger Polizei, für die er den verwickeltsten Mordfall gelöst hatte. Sie wussten es, sie hatten mit Ossi gesprochen. Stachelmann konnte sich vorstellen, wie Ossi getönt hatte, er neigte nicht zur Untertreibung. »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, ich würde gern nach Hause gehen.«
    Wesendorn und Burg wechselten einen Blick, der Kriminalrat nickte leicht. »Haben Sie in nächster Zeit die Absicht zu verreisen?«
    »Sie finden mich entweder in Lübeck oder in Hamburg«, sagte Stachelmann.
    »Wie sieht es aus?«, fragte er den Anwalt vor dem Ausgang an der Possehlstraße.
    »Gut«, sagte Oppum. »Die haben jetzt was zu knacken. Aber Sie müssten mir erklären, was für eine Geschichte Sie da hervorgezaubert haben.«
    Stachelmann unterrichtete Oppum knapp über den Holler-Fall.
    Als Stachelmann im Taxi saß, kehrte die Müdigkeit zurück. Und mit ihr die Gewissheit, dass er diese Sache noch lange
    nicht ausgestanden hatte. Da wartete etwas auf ihn. Ihn fröstelte.
    ***
    Natürlich hatten sie Dreilich wiedergetroffen. Der interessierte sich weiter für das Studium an der Humboldt-Universität und für die FDJ. Er fragte nach der Stimmung unter den Studenten und wie die dachten über die Regierung in Bonn. Entspannungspolitik, Dialog, Aussöhnung mit Polen und der Tschechoslowakei. Veränderte das etwas in der DDR? Wurde die Bundesrepublik nun nicht mehr als Feind wahrgenommen?
    Helga sagte: »Die war für mich noch nie ein Feind. Nur das Getöse, das mochte ich nie.«
    »Getöse?«, fragte Dreilich.
    »Na ja, diese Reden zum 17. Juni zum Beispiel, deutsche Wiedervereinigung, das sind doch alles Phrasen, die Einheit kann doch keiner wollen.«
    Dreilich lachte. »Als gäb’s so ein Geschwätz im Osten nicht auch, wenn nicht schlimmer. Ich sage nur 7. Oktober.«
    Helga entschuldigte sich, sie musste aufs Klo.
    »Wenn man sich das nur einmal selbst angucken könnte, Paris, London, Rom, meinetwegen auch Bonn«, sagte er. Er sprach es zum ersten Mal aus. Weil es so kindisch war, hatte er Helga diesen Traum nicht gestanden.
    Dreilich lachte. Dann erzählte er von seiner letzten Reise nach Paris. Die schönen Frauen im Moulin Rouge.
    Der Gefangene erinnerte sich gut an dieses Gespräch. Er trug Bilder im Kopf von diesen Städten, es kränkte ihn, dass seine Regierung ihm verbot, dort hinzufahren.
    Der Vernehmer warf einen Blick in eine schmale Akte.
    »Sie hatten genaue Reisepläne, London, Paris, Bonn, Rom. Dort kommt man nicht hin, ohne die Staatsgrenze der DDR zu überschreiten. Sie wollten das Moulin Rouge besuchen.«
    Von Helga wusste der Vernehmer das nicht. Als sie zurückkam von der Toilette, sprachen sie gerade über die neue Platte der Rolling Stones. Dreilich versprach, sie beim nächsten Mal mitzubringen.
    Der Gefangene brauchte nicht lange, um zu begreifen. Er hatte nur mit Dreilich über das Moulin Rouge gesprochen. Der Vernehmer konnte es nur von Dreilich wissen. Oder von dessen Führungsoffizier. Er schwor sich, die Rechnung zu begleichen, wenn er jemals herauskam aus der DDR. Diese Idee gab ihm Kraft.
    »Was ich bei Ihnen nicht verstehe, wie konnten Sie ein Land verlassen wollen, das Ihnen alle Möglichkeiten gab? Eine gute Schulausbildung, das Studium, dann einen sicheren und interessanten Arbeitsplatz. Der Staat hat Ihnen Vertrauen geschenkt, und Sie haben ihn verraten. Denken Sie manchmal an die Leute, die hart arbeiten, damit solche wie Sie gut leben?«
    Der Gefangene hörte kaum hin. Wann hatte seine Unzufriedenheit begonnen? Als er in der Bibliothek bestimmte Bücher nur mit Sondergenehmigung bestellen durfte? Als er Positionen bürgerlicher Wissenschaftler nicht im Original lesen durfte, weil die ohnehin überholt seien? Als er feststellte, dass er Kopien nur anfertigen lassen durfte, wenn er es beantragt hatte? Als er sah, wie ein Dozent zu schwitzen begann, als ein Student fragte, warum die Uniformen der Nationalen Volksarmee so aussahen wie die der Wehrmacht? Als er im Westfernsehen einen Film über Paris sah und sich vorstellte, was die Volkspolizei sagen würde, wenn er ein Visum nach Frankreich beantragte? Nur drei Wochen, dann komme ich zurück, Genossen. Zuerst hatte er gelacht, als er es sich vorstellte. Aber bald packte ihn der Zorn.
    Dreilich hatte es erst angedeutet, dann kam er zur Sache. Er kenne da Leute in Westberlin, die würden ihn rausholen und Helga auch. Das koste was, so zehntausend Mark pro Kopf. Aber es

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