Mit Blindheit Geschlagen
Regal abheftete. Die Arbeit ging ihm gut von der Hand. Als er fertig war, schaltete er den PC ein. Er wartete geduldig, bis das Gerät gestartet war, und öffnete dann die Datei seiner Habilitationsschrift. Als die Angst nach ihm griff, kämpfte er gegen sie an. Er begann zu lesen, langsam wich die Verkrampfung.
Es klopfte an der Tür, Bohming öffnete. Er grüßte und setzte sich auf eine Kante des Schreibtischs.
»Schreckliche Sache, gestern hat mich Frau Griesbach informiert, die Kollegen sind geschockt.« Er schaute Stachelmann an.
Der nickte.
»Und du hast ihn im Kofferraum gefunden?« Unglauben schwang mit in seiner Stimme.
»Ja.«
»Was sollen wir jetzt tun?«
Stachelmann erkannte, es war ein Fehler gewesen, dass er nicht gleich zu Bohming gegangen war. Aber er ärgerte sich nicht. Es war eine Kleinigkeit angesichts der Umstände. »Vielleicht solltest du eine Ansprache halten in deinem Dienstzimmer. Und natürlich gehen wir alle zur Beerdigung. Eine Traueranzeige im Abendblatt?«
»Ja, ja«, sagte Bohming. »Erstochen, zwei Stiche, dann in einen Müllsack gesteckt und dir in den Kofferraum gelegt. Das ist abartig.« Er ging ein paar Schritte und kratzte sich am Kopf. »Dann wird ja die Polizei hier auftauchen, gut ist es nicht. Und finden werden sie hier nichts.« Er blieb stehen, kratzte sich wieder am Kopf. »Uns bleibt nur weiterzuarbeiten. Heute Nachmittag, sagen wir gegen fünf, treffen wir uns in meinem Zimmer. Ich werde ein paar Worte sagen. Um die Anzeige kümmert sich dann Frau Breuer. Wegen des Textes wird sie sich an dich wenden, ja?«
Stachelmann nickte. Er wollte sagen, dass er dafür ungeeignet sei, schwieg aber.
»Du wurdest schon befragt?«
»Ja.«
Bohming schaute Stachelmann in die Augen. »Du hast doch nichts damit zu tun?«
»Natürlich nicht«, sagte Stachelmann. Die Frage ärgerte ihn.
»Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht.« Er drehte sich um. Stachelmann schien es, als ginge Bohming gebeugt.
Jetzt hatte Stachelmann den Müllsack wieder vor Augen. Die beiden dunklen Flecken auf der Brust. Wer hatte ihm den Sack in den Kofferraum gelegt? Stachelmann war wütend. Wie hoch war die Aufklärungsquote bei Mord? Bestimmt höher als neunzig Prozent. Er würde sich den Mörder anschauen, wenn ihm der Prozess gemacht wurde. Und warum wurde ihm die Leiche untergeschoben? Wer wollte ihm schaden? Irgendeiner dieser Makler, die nach der Aufklärung des Holler-Falls in der Presse verdroschen worden waren? Die Aasgeier hatten es sich verdient, gewiss waren sie wütend auf Stachelmann. Und Holler junior, dieser Wohltäter, der sich seinen Ruf mit dem Geld kaufte, das sein Vater geraubt hatte von Juden, die er dann in den Tod schickte? Maximilian Holler hätte auch einen Grund. Aber sie alle kannten Griesbach nicht, sie wussten nichts von seiner Affäre mit Ines.
»Eine abwegige Spekulation«, flüsterte er vor sich hin. Es klopfte. Anne trat ins Zimmer, sie trug ihren Bauch vor sich her. Stachelmann starrte darauf, dann schaute er Anne ins Gesicht. Sie sah gut aus.
»Die Polizei ist im Haus«, sagte Anne. »Sie fragen alle nach Griesbach. Bei mir waren sie schon.«
»Und?«, fragte Stachelmann.
»Es ging schnell, ich habe mit ihm ja nicht mehr als drei Worte gewechselt. Sie haben nach dir gefragt.«
Die Angst war wieder da. »Was?«
»Na ja, ob du Griesbach näher kanntest, ob du ihn als Konkurrenten empfunden hast.«
»So ein Quatsch«, sagte Stachelmann etwas zu laut. Er fürchtete, dass ihm die Lüge ins Gesicht geschrieben war.
»Das habe ich denen auch gesagt. Ach ja, von den Männern wollen sie Speichelproben. Wie bei Sexualmorden. Natürlich nur im Einverständnis.«
Stachelmann überlegte, wie lange sie nicht mehr gesprochen hatten miteinander. Dann fragte er sich, warum die Polizisten Speichelproben sammelten. Es hatte Massenspeicheltests gegeben, um die Proben mit DNS-Spuren des Täters zu vergleichen. Aber der Mord an Griesbach war kein Sexualverbrechen, auf welche Spuren hofften die Kriminalbeamten? Er war verwirrt, Anne schien es ihm anzusehen.
»Was ist mit dir?«
»Nichts, nichts«, sagte er.
»Das glaube ich nicht. Es ist dir nicht egal, dass du eine Leiche gefunden hast.«
Er kam sich komisch vor. Die Leiche hatte ihn am Vormittag nicht gehindert, fast gut gelaunt zu sein. Es war Erleichterung gewesen, die Angst vor der Verfolgung durch die Polizei war gewichen und seine Schuldgefühle mit ihr. Er hatte ihnen einen Brocken hingeworfen, an dem sie eine
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