Mit Blindheit Geschlagen
er war neu, hatte gerade seinen Einstand gegeben. Und dort habe ich zwei, drei Sätze mit ihm gewechselt. Mehr nicht.«
»Und vor oder nach dem Einstand haben Sie ihn nicht gesehen?«
»Nein. Halt, doch. Er hat mich noch kurz in meinem Dienstzimmer besucht.«
»Was wollte er?«
»Nur ein bisschen quatschen.«
»Unser Hamburger Kollege Winter sagt, er habe mit Ihnen Frau Griesbach besucht, nachdem Professor Griesbach verschwunden war.«
»Ja.«
»Kennen Sie Frau Griesbach besser als Herrn Griesbach?«
»Inzwischen ja. Auch mit ihr hatte ich auf dem Empfang gesprochen. Sie kennt wohl niemanden in Hamburg, da hat sie sich an mich erinnert, als ihr Mann nicht nach Hause kam.« Er überlegte, ob der Wirt im Tokaja Ines und ihn wieder erkennen würde. Wahrscheinlich, aber wie sollte die Polizei auf die Idee kommen, dort zu fragen? Nüchtern hielt er dennoch fest, dass seine Geschichte eine Schwachstelle hatte. Aber ich war es doch nicht, auch wenn ich was verschweige. Sollen sie mich nachher wegen dieser Kleinigkeit belangen, manchmal zwingt Anstand zu lügen. Dann stellte er sich vor, wie ihre Porträts im Hamburger Abendblatt gezeigt wurden und der Wirt zum Telefonhörer griff. Aber warum sollten ihre Bilder veröffentlicht werden? Er schaute Wesendorn an, der schien nachzudenken, Falten standen auf seiner Stirn unter einer grauen Locke.
»Das leuchtet mir nicht ein«, sagte der Kriminalrat.
»Herr Kriminalrat, die Strafprozessordnung verlangt nicht, dass Ihnen etwas einleuchtet. Sie verlangt Beweise. Die müssen Sie erbringen. Und sie verlangt auch, dass Sie alles ermitteln, das geeignet ist, meinen Mandanten zu entlasten.« Oppumwar die Überlegenheit in Person.
»Natürlich, Herr Rechtsanwalt, nichts anderes haben wir vor.« Dann schwieg Wesendorn.
Burg reckte sich. »Wären die Fasern nicht, dann hätten wir Sie schon längst nach Hause geschickt. Haben Sie wirklich keine Erklärung dafür, wie die auf den Beifahrersitz kommen?«
»Da muss jemand den Eindruck erwecken wollen, ich hätte was damit zu tun.« Stachelmann dachte nach, dann sagte er: »Also, der Mörder hat Griesbach Pullover und Hose ausgezogen, damit meinen Beifahrersitz präpariert und sie dann dem Opfer wieder angezogen. Aus dem gleichen Grund, weshalb er mir die Leiche in den Kofferraum befördert hat.«
»So was ist uns zwar noch nicht untergekommen, aber warum soll es das nicht mal geben. Nur, ich glaube es nicht.« Burg ließ seine Finger auf der Schreibtischplatte tanzen.
»Herr Oberkommissar, Sie müssen etwas beweisen, nicht mein Mandant. Mein Mandant nimmt an diesem Gespräch aus freien Stücken teil. Ich an seiner Stelle würde schweigen.«
»Ja, ja«, sagte Burg. »Wer könnte ein Interesse daran haben, Ihnen einen Mord anzulasten?«
Stachelmann überlegte. Diese Frage beunruhigte ihn schon eine Weile. Wer ihm einen Mord anhängen wollte, konnte noch anderes planen. »Ich weiß es nicht, aber ich empfinde das als Bedrohung. Vielleicht« – die Idee stand plötzlich in seinem Kopf – »hängt es mit dieser alten Sache zusammen, mit den Holler-Morden.«
Wesendorn riss die Augen weit auf, nachdem es fast ausgesehen hatte, als wäre er eingeschlafen. Aber Stachelmann ahnte, dieser Mann schlief nie, er beobachtete und dachte, überließ Burg weitgehend das Reden und zog seine Folgerungen im Stillen. Von ihm erwartete Stachelmann jeden Augenblick einen Angriff. Aber jetzt schien es so, als hätte Stachelmann ihn überrascht. »Wie soll das zusammenhängen?« Er fragte nicht nach, worauf Stachelmann anspielte, offenbar hatte er schon mit Ossi geredet.
»Rache vielleicht.«
»Dafür, dass Sie die Maklermafia rangekriegt haben? Da ging es um Raub, Nötigung, Ansprüche aus Wiedergutmachungsgesetzen. Ist alles längst verjährt.«
»Aber nicht der Ansehensverlust«, sagte Stachelmann.
Oppum schaute hin und her zwischen den Sprechern und verstand nichts. Man sah es ihm an. Er war so klug zu schweigen.
Wesendorn verfiel wieder in eine Art Starre.
»Das ist eine Möglichkeit«, sagte Burg. »Aber eine weit entfernte.« Er zündete sich eine Zigarette an.
»Als ginge es hier um statistische Wahrscheinlichkeit. Es genügt, dass es möglich ist«, sagte Stachelmann.
»Ich finde, mein Mandant leistet Ihre Arbeit«, sagte Oppum. »Und Sie danken es ihm schlecht.«
Stachelmann spürte, die Stimmung wandelte sich zu seinen Gunsten. Er hatte etwas ins Spiel gebracht, das die Polizisten überraschte und das sie nicht abweisen
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