Mit Blindheit Geschlagen
Telefonbuch. Stachelmann blickte ihn kurz an, in den Augen des Oberkommissars schien sich das Teuflische seiner Lage zu spiegeln. Stachelmann wählte die Nummer. Er hatte Glück, die Frauenstimme am Telefon sagte, er könne den Herrn Rechtsanwalt Oppum gleich sprechen, als wisse sie von Stachelmanns Not. Der Anwalt hatte eine beruhigende Stimme. »Sie sagen jetzt nichts mehr, bis ich da bin, ja?«
Stachelmann versprach es.
»Ich sage jetzt nichts mehr, bevor mein Anwalt da ist«, sagte Stachelmann.
Burg nickte. »Und wenn Sie dann wieder was sagen, denken Sie daran, alles kann gegen Sie verwendet werden.«
»Bin ich verhaftet?«
»Sie meinen vorläufig festgenommen? Nein, so weit sind wir noch nicht.« Wie um diese Aussage abzuschwächen, sagte er: »Einen Gruß vom Kollegen Winter aus Hamburg. Dem haben Sie offenbar mal mächtig aus der Patsche geholfen.«
Sie saßen in dem Zimmer und schwiegen. Stachelmann gingen wirre Gedanken durch den Kopf. Dann fiel ihm ein, Ines war in Lübeck, aber er würde sie kaum sehen. Es war besser so. Die Tür öffnete sich, ein Beamter stellte ein Tablett mit Kaffeebechern auf den Tisch.
»Möchten Sie mal was essen?«, fragte Burg.
Da fiel Stachelmann auf, Burg hat nicht einmal Scheiße gesagt. Er schüttelte den Kopf. »Aber auf die Toilette.«
»Einen Augenblick bitte.« Burg griff zum Telefon und sagte etwas. Kurz darauf öffnete sich wieder die Tür, ein Polizist in Uniform erschien und sagte zu Stachelmann:
»Bitte kommen Sie.«
»Aber nicht abschließen«, sagte der Beamte, als sie die Herrentoilette betraten.
Stachelmann zog die Hose herunter und setzte sich auf die Klobrille. Er war müde, der Rücken schmerzte. Er saß länger als nötig und hoffte zu begreifen, was geschah. Er begriff es nicht.
Dann erschien der Anwalt, mit Weste unter dem Jackett, die Kleidung saß maßgeschneidert. Oppum hatte eine schmale senkrechte Narbe neben dem linken Auge. Er schaute die Anwesenden nacheinander an, dann reichte er Stachelmann die Hand und sagte: »Ich möchte mit meinem Mandanten allein sprechen.« Es klang wie ein Befehl.
Burg und der Kriminalrat verließen den Raum.
Oppum nahm sich einen Kaffeebecher vom Tablett, gab reichlich Sahne hinzu und schaute Stachelmann an.
»Berichten Sie.«
Stachelmann berichtete.
Der Anwalt kniff die Augenbrauen zusammen. »Das mit den Fasern gefällt mir nicht. Mir können Sie alles sagen. Selbst wenn Sie es waren, es ist nicht meine Aufgabe, Sie zu verurteilen. Sie sind mein Mandant, Sie bestimmen, was wir versuchen. Je mehr ich weiß, desto besser für uns beide. Denn, das muss ich gleich sagen, ich hasse zwei Dinge: unliebsame Überraschungen und Niederlagen vor Gericht.« Der Mann hatte etwas Italienisches, gelackt, schnell im Kopf und mit der Zunge.
Stachelmann überlegte, ob er Oppum erzählen sollte, er sei bei Ines gewesen in der fraglichen Nacht. Aber dann würde der Anwalt darauf bestehen, Ines als Zeugin seines Alibis zu benennen. Aber taugte sie dazu? War Griesbach wirklich in dieser Nacht ermordet worden? Konnte der Rechtsmediziner den Todeszeitpunkt schon genau festlegen? Und wenn es erst Mittwochvormittag war?
»Wann wissen wir den exakten Todeszeitpunkt?«
Der Anwalt stutzte einen Augenblick, dann schien er etwas zu verstehen. »Bald. Aber es kann da Abweichungen geben. Kälte verzögert die Verwesung, zum Beispiel, Wärme beschleunigt sie. Wenn der Doktor nicht weiß, wo die Leiche gelegen hat, kann es schwierig werden.«
»Das heißt, Griesbach kann auch später erstochen worden sein.«
»Ja. Das wäre möglich. Aber ich glaube es nicht, die Gerichtsmedizin hat schon einige Unwägbarkeiten eingerechnet. Und wenn die sagen, der Befund sei vorläufig, so bedeutet das in der Regel nur, dass sie am Ende bestätigen, was sie zuvor angegeben haben aufgrund von Erfahrungswerten.«
»Ich möchte weiter aussagen.«
»Gut, dann bitte ich die Herren wieder herein.«
Wesendorn und Burg setzten sich wieder auf ihre Plätze. Der Kriminalrat hatte ein Papier in der Hand, er gab es dem Anwalt. »Ja, das hatte ich erwartet.« Er wandte sich an Stachelmann und sagte: »Ein Durchsuchungsbefehl.«
Burg sagte: »Die Fasern.« Es klang wie eine Entschuldigung. »Aber jetzt reden wir erst mal weiter.«
Oppum sagte nichts.
Wesendorn räusperte sich. »Herr Dr. Stachelmann, schildern Sie uns Ihre Beziehung zu Herrn Professor Griesbach.«
»Ich hatte keine Beziehung zu ihm.«
»Aber er war doch Ihr Kollege?«
»Ja, aber
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