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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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würde klappen. Todsicher.
    Zwanzigtausend Mark hätten sie nicht.
    Das mache nichts, er würde für sie bürgen. Sie müssten das eben abstottern, wenn sie drüben seien. Aber im Westen verdienten die Leute ja viel, da seien zehntausend Mark nicht die Welt.
    Er sei schon für den Sozialismus, nur wolle er sich nicht einsperren lassen. Auch habe der Sozialismus noch viele Schwächen. Im Westen gebe es gar keinen Sozialismus, im Osten immerhin Ansätze.
    Dreilich sagte, er sei ein Feind des Sozialismus. Aber im Westen tummelten sich viele sozialistische und kommunistische Gruppen, da finde er leicht Anschluss. Biermann bezeichne sich ja auch als Sozialist.
    Helga sagte, die Schlange vor dem Lindenrestaurant sei erstaunlicherweise nicht lang, sie habe Lust, richtig schön essen zu gehen. Dreilich sagte, er lade sie beide ein.
    Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ein ungewöhnlich freundlicher Kellner die drei platzierte. Der Kellner hatte einen längeren Blick auf Dreilich geworfen und in ihm den Devisenbesitzer erkannt. Ein Kellner in Ostberlin sah das sofort. Sie aßen Chateaubriand. Dreilich war zufrieden, sagte aber, im Westen kriege man diese Qualität an jeder Ecke. Dreilich erzählte wieder vom Studium. Helga wollte wissen, welche Voraussetzungen man erfüllen müsse, um Bibliotheken zu benutzen, zum Beispiel die an der Freien Universität.
    Ganz einfach, sagte Dreilich. Jeder bekomme eine Benutzerkarte, mit der könne er die Bücher ausleihen, die er brauche. Ausgenommen seien alte oder besonders wertvolle Bücher, die würden in den Lesesaal geliefert. Manche Bücher gebe es nur auf Mikrofiches, das seien Filme, die man in Sichtgeräten lesen könne. Wenn ein Buch nicht in der Bibliothek stehe, dann könne man es per Fernleihe bestellen.
    Helga machte große Augen.
    »Über die Ostsee«, sagte Dreilich. »Das ist leichter als auf dem Landweg. Wir haben da einen Trick.« Mehr könne er nicht sagen dazu.

8
    Am Morgen fühlte er sich besser. Erstaunlicherweise hatte er etwas geschlafen. Ich habe Griesbach nicht ermordet, also muss ich nichts befürchten. Ihn erleichterte die Vorstellung, dass er sich bald bei Hartmann entschuldigen werde, danach würde alles sein wie vorher, vor der Beleidigung und vor dem Mord. Womit er nicht zufrieden gewesen war, erschien ihm nun erstrebenswert. Er musste sich nur am Riemen reißen, dann würde er die Habil abschließen und konnte sich bewerben auf einen Lehrstuhl oder wenigstens eine C-3-Professur. An diesem Morgen traute er sich zu, genug Energie aufzubringen, um sein Ziel zu erreichen, als hätte der Schock, die Leiche zu finden, ihm einen Stoß versetzt. Danach konnte er Existenzsorgen aus seinem Wortschatz streichen. Er schmierte sich einen Toast mit Erdbeer-Orangen-Marmelade und trank einen Schluck Darjeeling. Durchs Küchenfenster schien die Winter-sonne, weiß und hart. Mit dem Teebecher in der Hand stand er auf und schaute hinaus, blauer Himmel, keine Wolke. Es war kalt und trocken.
    Nach dem Frühstück blätterte er in den Lübecker Nachrichten, dann zog er sein Jackett und den Wintermantel an. Er hatte Zeit und schlenderte zum Bahnhof. Der Zug fuhr pünktlich ab und erreichte den Hauptbahnhof zur vorgesehenen Zeit. In der S-Bahn zum Dammtor beobachtete Stachelmann die Leute, viele schienen fröhlich zu sein. Aber man sieht die Welt, wie man sich fühlt. Er grinste über sich. Wenn er schlecht gelaunt wäre, würden die Menschen wie Trauerklöße herumlaufen.
    Auf dem Weg zur Uni öffnete er die beiden oberen Knöpfe des Mantels. Er genoss die kalte, klare Luft. Zwei Studenten grüßten ihn, er winkte zurück. Warum, verdammt, konnte das Leben nicht leicht sein? Ines wohnte ein paar Meter weg von hier, er hatte kein Bedürfnis, sie zu sehen, und war froh, dass sie ihm in Lübeck nicht über den Weg gelaufen war. Stachelmann fühlte sich benutzt, er hatte ohne vernünftigen Grund Griesbach gesucht, nur damit ihm jemand dessen Leiche in den Kofferraum legte. Er dachte an die gemeinsame Nacht, die Erinnerung erregte ihn.
    In seinem Dienstzimmer setzte er sich an den Schreibtisch und zog einen Papierstapel von der Seite vor sich. Kopierte Fachaufsätze, die er nicht mehr brauchte, E-Mails, die sich erledigt hatten, Rundschreiben, die er sowieso nie lesen würde. Das meiste schmiss er weg. Er nahm sich einen weiteren Stapel vor und verfuhr genauso mit ihm. Den dritten dezimierte er auf die gleiche Weise. Am Ende blieben ein paar Seiten übrig, die er in Ordnern im

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