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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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geholt hast. – Prosperino! – Ich bin Deine Madonna, und ich werde immer im Geiste bei Dir sein, wo auch immer Du arbeitest und wohin Dein Herz Dich auch führt. Möge es Gottes Wille sein, dass man Dich zu mir nach Hause zurückbringt.
    Deine Lena
    Das Mädchen hatte unter ihren Namen ein Zeichen gemalt, das dem Buchstaben L glich. Aus dem steifen Papier konnte Caravaggioihre Stimme rufen hören, und er musste schluchzen.
Ich wollte sie beschützen; deshalb habe ich sie allein gelassen
, dachte er.
Aber ohne sie bin ich ein Wrack
. Er musste zu ihr, musste das Todesurteil loswerden, um bei ihr sein zu können.
    Der Brief hatte noch ein Postskriptum. Er wischte sich mit dem Ärmel die Augen und las weiter.
    Prosperino, der Groteskenmaler, grüßt seinen lieben Freund, den größten Maler Roms, Michelangelo Merisi aus Caravaggio.
    Michele, ich sage dem Mädchen nicht, was ich hier schreibe. Sie glaubt, dass es nur ein paar freundschaftliche Grüße sind. Sie ist jetzt erst zu mir gekommen, um Dir zu schreiben, und ich verstehe, dass es sie einiges kostet, mit Dir Kontakt aufzunehmen. Sie ist sich sicher, dass Du sie verlassen wolltest, obwohl ich ihr schon vor langer Zeit gesagt habe, dass dem nicht so ist. Aber ich war für einen Auftrag in Venedig, und während meiner Abwesenheit haben andere – die Frauen der Tomassoni und Fillide – Lena davon zu überzeugen versucht, dass Du sie nie geliebt hast.
    Ihre Gesundheit ist schlecht, Michele. Ihre Haut ist grau, hat die Farbe von Schornsteinruß und ist unter den Augen und um den Mund herum noch dunkler als grau. Ihre Lippen sind wie Blei, und es tut mir leid, Dir sagen zu müssen, dass sie auch mit dem Blut befleckt sind, das sie ausgehustet hat, als sie mir den Brief diktierte.
    Ich weiß, dass Du Dich bemüht hast, das Urteil gegen Dich aufheben zu lassen. Solche Dinge brauchen Zeit. Onorio ist immer noch in Mailand im Exil und wartet auf seine Begnadigung, und auch Mario ist in Sizilien. Ranuccios Bruder hält sich aus dem gleichen Grund nicht mehr in Rom auf. Zu Deinen Gunsten hoffe ich, dass er nicht weiß, wo Du bist. Ich werde diesen Brief durch del Monte befördern lassen und nicht weiter nachfragen, wo er Dich erreichen wird.
    Ich habe del Monte gebeten, in Deiner Angelegenheit bei Scipione zu intervenieren. Er hat sich über meine Bitte geärgert, weil er sagt, dass Dein Fall ihn ständig beschäftigt und dass der Kardinalnepot sich nichtvon einem drittrangigen Künstler belehren lassen muss. Ich habe ihn gebeten, mich höchstens als zehntrangig einzustufen, jedenfalls so lange, wie er Deine Interessen vertritt.
    Für Lena werde ich tun, was ich tun kann, Michele, obwohl ich derzeit knapp bei Kasse bin. Ich habe Onorios Frau unterstützt. Sie fällt mir sehr zur Last, weil unser Freund aus seinem Exil keine Zuwendungen schickt, und sie muss fünf Kinder durchbringen. Inzwischen bekommen Baglione und seine Kumpane all die Aufträge, die ich sonst bekommen hätte. Du musst wieder nach Rom kommen, Michele.
    Dein Freund, der all den Ärger, den Du ihm immer bereitet hast, vermisst
,
    Prospero Orsi
    Caravaggio blickte zu seinem Gemälde auf. Im oberen Teil der Leinwand hielt die Jungfrau ein Christuskind auf dem Arm. Er hatte dem Jungen Domenicos Züge gegeben, dabei jedoch gedacht, dass er etwas von dem Kind haben könnte, das er hätte bekommen können, wenn Lenas Schwangerschaft glimpflich verlaufen wäre. Er fiel auf die Knie und presste sich den Brief ans Herz. Ob sie wohl, fragte er sich, wenn er noch ein paar Änderungen auf ihrem Antlitz vornehmen würde, aus dem Bild heraustreten, sein Gesicht zwischen ihre Hände nehmen und sagen würde: «Warum hast du diese letzten Pinselstriche nicht vor zwei Jahren gemacht?» Sie hätte bei ihm sein können, wenn er Künstler genug gewesen wäre, ihre Gegenwart aus der Farbe heraufzubeschwören.
    Er stand auf.
Ich werde sie wirklich werden lassen
.
    ∗
    In der Caritá, am Rand des verruchten Viertels der spanischen Soldaten und ihrer Huren, kehrte er in eine Taverne namens Cerriglio ein. Holzrauch brannte in seinen Augen. Er setzte sichmit einem Krug Wein und trank schnell. Er wandte sich den Zechenden zu und hob den Becher. Er hatte einen Brief von Lena bekommen. Er wurde geliebt.
    Aus einem Korb aß er Teigklöße, die für den Salzgeschmack mit Seetang umwickelt und dann in Öl gebraten waren. Er bestellte einen zweiten Krug Wein. Als sie ihn rufen hörten, drehten sich die Huren am Ecktisch nach ihm um.

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