Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
Kleiner?»
«Tante Lena.» Erfreut, die richtige Antwort gegeben zu haben, klatschte der Junge in die Hände. Sie küsste ihm die Stirn.
Caravaggio spürte die Berührung ihrer Lippen, als wäre
ihm
der Kuss gegeben worden. «Ich komme wieder, Lena.» Er ging die Straße entlang und sang das Lied, das er auf Fillides Fest gesungen hatte:
«Du bist der strahlende Stern
Heller als jede andere Dame.
Verlass mich nicht.»
∗
«Schau weiter nach oben. Sieh nicht zu mir.» Caravaggio kam durch den schwarzen Vorhang und drückte Prudenzas Kinn höher.
«Da ist aber gar nichts, nichts zu sehen. Nur ein Loch in der Decke.» Sie schüttelte ihre Hände aus. «Das ganze Blut läuft raus, wenn ich sie so halten muss. Was machst du eigentlich hinter dem Vorhang? Wie lange dauert es noch?»
«Eine Weile. Du bist wohl an Arbeit gewöhnt, die in knapp zehn Minuten getan ist?» Er rückte sie wieder in Positur, spürte durch ihr dünnes, weißes Unterkleid ihre Schultern.
«Werd bloß nicht frech, Michele. Ich weiß, wie man sie in weniger als zwei Minuten abfertigt.» Sie krümmte und reckteden Finger – der Hurentrick, ins Poloch eines Kunden zu stoßen, um den Erguss zu beschleunigen.
Er lachte und drapierte das erdbraune Tuch über ihrem Rücken, faltete es über ihren ausgestreckten Arm und breitete es auf dem Tisch aus. «Jetzt sieh mal her. Schau genau da hin, wo meine Hand sich befindet.»
Sie hielt den aufwärtsgereckten Hals still. Er ging durch den Vorhang, zog ihn hinter sich zu und ließ nur einen kleinen, runden Spalt in Augenhöhe offen.
Durch diese Öffnung erschien das hell auf Prudenza fallende Licht deutlich im hinter Caravaggio stehenden Spiegel. Der Spiegel warf ein Bild des Mädchens auf die Leinwand, eine Methode, die er von den Gelehrten in del Montes Palazzo gelernt hatte. Gemäß der Spiegelung markierte er schnell die Schlüsselpunkte ihrer Gesichtszüge, um sie bei der nächsten Sitzung in genau die gleiche Position setzen zu können. Er drehte den Pinsel um, sodass die Borsten auf ihn zeigten, und kratzte mit dem Pinselstiel durch die Grundierung. Mit einzelnen Strichen grub er die Umrisse ihres Ohrs, ihrer Stirn, ihres Kinns und ihrer Hände in die Grundschicht. Die Einzelheiten würde er später ausführen, weil er wusste, dass Form und Perspektive dann so natürlich wie in einem Spiegel erscheinen würden.
«Warum brauchst du da drinnen einen Spiegel?», rief sie.
«Er erleichtert mir die Arbeit. Er erlaubt mir, mich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist.»
Der Spiegel ersetzte nicht den Genius, mit dem er ein Gesicht mit Schmerz oder Hingabe belebte, aber er brachte solche Gefühle derart genau in ein Abbild der Wirklichkeit, dass die Betrachter über seine Virtuosität staunten. Nur wenige fragten sich, wie er es gemacht hatte – außer del Montes Gelehrte, die es aber sowieso schon wussten. Andere hielten es für ein wahres Wunderwerk wie eine Heilige Jungfrau, die oben auf einem Altarbild auf einer Wolke stand.
Prudenza öffnete den Mund und wollte eine weitere Frage stellen, aber er zischte ihr zu, still zu sein. Der Spiegel war ein Geheimnis, das er mit niemandem teilen durfte, und zwar nicht nur, weil er seine technische Überlegenheit über andere Künstler behalten wollte. Er fürchtete sich vor der Inquisition. Gespiegelte Bilder galten als ketzerische Magie.
Aus der Loggia drang Hundegebell.
«Cecco!», rief er. «Die Lampe muss höher!»
Sein Gehilfe kam aus der Loggia und zog an einem Seil. Der Flaschenzug quietschte, und die Lampe stieg zu den schadhaften Deckenbrettern empor. Auf Prudenzas Gesicht verstärkte sich der Kontrast zwischen Schatten und direktem Licht.
«Genau so», sagte Caravaggio.
«Gut so, Maestro?» Der Junge war zwölf Jahre alt, lächelte Prudenza aber keck an und winkte ihr zu. «
Ciao, Amore
.»
Sie blies die Backen auf und kicherte.
Beide sind noch Kinder
, dachte Caravaggio. Für einen Moment empfand er ihnen gegenüber eine Art wohlwollender Herablassung, musste dann aber plötzlich ein Schluchzen unterdrücken. Er wunderte sich über seine merkwürdige Verletzbarkeit.
Kinder, ja doch, aber sie leben nicht wie Kinder
.
«Wünscht Ihr sonst noch etwas, Maestro? Wenn nicht, würde ich jetzt gern mit Corvo spielen. Ich habe ihn gestern mit in die Taverne genommen und auf den Hinterbeinen laufen lassen. Alle haben mich gefragt, wie Ihr ihm das beigebracht habt.»
«Was hast du geantwortet?»
«Dass Ihr ein Meister der Illusion
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