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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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verletzt meine Ehre und –»
    Von einem Moment auf den anderen kippte Scipiones Ton aus seiner üblichen, fließenden Glätte in die schrille Wut eines bockigen Kindes. «Ihr seid mein Mann, verdammt noch mal. Benehmt Euch wie jemand, auf den ich mich verlassen kann.»
    Er erhob sich vom Stuhl, lauschte dem Knacken der Holzverstrebungen und ging zur Tür. «Wenn Ihr Euch erholt habt, sucht die Familie des Kaufmanns Cavalletti auf. Möge seine Seele in Frieden ruhen. Sie haben zu seinem Gedenken eine Kapelle in Sant’Agostino gekauft.»
    Scipione ging die Treppe hinab. Er war schon außer Sicht, als er hinzufügte: «Sie wollen eine Madonna.»
    «Von mir?»
    «Von Scipiones Mann.»
    ∗
    Das Haus, in dem die Heilige Jungfrau gehört hatte, dass sie den Sohn Gottes empfangen würde, kam zur Zeit der Kreuzzüge aus Nazareth. Engel retteten es vor der drohenden Zerstörung durch die Hände der Mohammedaner. Sie setzten es in Loreto ab, einer Stadt in den Marken mit Blick auf die Adria. Viele große Künstler malten den Transport des Heiligen Hauses durch die Lüfte und zeigten immer Maria, wie sie mit dem Seraph neben ihrem ehemaligen Haus herflog. In seinem Testament verfügte der Kaufmann Cavalletti ein Legat für ein Altarbild – ein Gemälde der Madonna von Loreto.
    Girolamo de’ Rossi, der Schwager des Kaufmanns, hielt Caravaggio den Vertrag entgegen.
    «Wisst Ihr, ich werde die Madonna nicht wie einen fliegenden Vogel malen», sagte der Künstler.
    De’ Rossi rieb das Papier zwischen Daumen und Zeigefinger. «Ich könnte Maestro Baglione bitten, es zu tun.»
    «Baglione wird Euch mit Sicherheit eine Madonna liefern, an die niemand glauben kann.»
    «Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr das Wunder des Heiligen Hauses nicht ernst nehmt?»
    «Ich nehme alles ernst. Aber ich bin anders als andere Künstler. Darauf beruht mein Ruf.»
    De’ Rossi zwang sich zu einem Lächeln.
    «Keine Sorge, Signore.» Caravaggio nahm den Vertrag. «Ich glaube an die Madonna. Wenn ich sie male, ist sie mir unmittelbar gegenwärtig.»
    Er beugte sich über den Tisch, griff zur Feder und unterschrieb.
    ∗
    Lena stand auf einer Kiste und hielt den Jungen ihrer Schwester auf der Hüfte. Caravaggio brachte ein altes Bettlerpaar herein, das er auf der Straße vor der Taverna del Moro angeworben hatte, und ließ sie in bittender Gebärde niederknien.
    «Du badest gerade den Jungen, Lena, und dann ruft dich jemand zur Tür. Du willst eigentlich wieder ins Bad zurück, aber du empfindest Mitleid diesen einfachen Pilgern gegenüber. Sieh in ihre Gesichter.»
    «So war das, als du zum ersten Mal zu meinem Haus gekommen bist», sagte sie. «Aber soll ich denn nicht die Jungfrau sein?»
    «Versuch dir bloß nicht vorzustellen, wie die Jungfrau sich verhalten würde.» Er kniete sich hinter die Bettler. «Schau sie an, Lena. Ich will wissen, was du empfindest, wenn
du
sie siehst.»
    «Es scheinen gute, alte Leutchen zu sein.»
    «Sie haben den ganzen Weg von zu Hause gemacht, um dich zu sehen, haben Wegelagerer und Hunger ertragen – alles nur, um dein Gesicht zu sehen. Würdest du dich da abwenden?»
    «Nein. Aber ich würde daran denken, dass Domenico inzwischen etwas kalt geworden sein dürfte.»
    «Richtig, die Jungfrau würde auch das Kind nicht vergessen. Schaukele also wie jetzt ein bisschen auf den Zehen, weil du an den Jungen denkst und weil du wieder wegmusst. Aber sieh auch in ihre Gesichter.»
    Eingeschüchtert von der Verantwortung, die er ihr damit aufbürdete, die Jungfrau darzustellen, doch zugleich von Mitleid für die Bettler erfüllt, senkte sie das Kinn bis fast auf die Schulter.
    Er ging zurück auf seine Position, schlüpfte durch den schwarzen Vorhang und sah das Bild seiner Modelle auf der Leinwand. Er schob die Staffelei vor, um das Bild schärfer erscheinen zu lassen. Als er sie genau im Blick hatte, standen die Figuren lebhaft vor ihm. Er ballte in einem Anflug von Freude die Fäuste und biss sich auf die Lippe. Das Gemälde würde erst in einigen Monaten fertig sein, aber hier hatte er es bereits gesehen.
    Mit einem Pinselstiel ritzte er die Position seiner Modelle in die rötlich braune Grundierung, die er auf die Leinwand aufgebracht hatte. Die schmutzigen Füße des alten Mannes ragten in Richtung des Betrachters; die Wangenknochen der Bettlerin traten vor Alter und Hunger deutlich hervor; die Hand des Kindes griff in das rote Samtkleid, das Caravaggio für Lena gekauft hatte; Lenas Fuß, gewölbt an den Zehen, und

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