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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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schätzte sie ab.
    «Wenn Unsere Heilige Jungfrau in Armut lebt, Michele, warum sollte man dann einen reichen Mann verehren, der teure Gewänder trägt und in roten Schuhen durch seinen Palast stapft?» Del Monte begutachtete das Gemälde; sein Gesicht glühte vor Bewunderung, die sich von keinen doktrinären Quisquilien unterdrücken ließ. «Bekommt sie zumindest einen Heiligenschein?»
    Unter dem Farbkarren kramte Caravaggio zwei Zirkel hervor. «Ich dachte schon, Ihr würdet nie danach fragen.»
    ∗
    Als die Madonna fertig war, setzte sich Caravaggio in der Stille des Spätnachmittags vor sie. Die Wintersonne ging unter. Ihr Strahl fiel wie eine himmlische Liebkosung durch den Fensterladen über ihren Körper.
Nichts anderes soll sie berühren
, dachte er.
    Das Haus war still. Er hatte alle in die Taverna del Moro geschickt und gesagt, dass er zum Essen nachkommen würde. Bevor er sie der Kirche Sant’Agostino übergab, wollte er mit ihr allein sein.
    Die Wunde an seinem Hals war wie eine breite Naht, die ihn zusammenhielt.
Ohne die Narbe würde ich wie ein nahtloser Anzug zu Boden sinken
. Über dem Schnitt an der Schläfe waren die Haare wieder gewachsen, aber er hatte das Gefühl, als rührte sich immer noch etwas unter der Haut. Sein Körper mühte sich damit ab, den Schaden, der ihm dort zugefügt worden war, zu beheben.
Vielleicht hat der Schwerthieb in meinem Gehirn etwas freigesetzt, das mir sagen soll, dass es kein «nächstes Mal» gibt.
In jedem Augenblick konnte sein Leben enden – ohne Chance, etwas zuerklären, Abschied zu nehmen, sich zu entschuldigen.
Das letzte Wort, das ich zu Lena gesagt habe, könnte einfach das letzte Wort sein, das ich jemals zu ihr gesagt habe
.
    Er sah es so, wie er auch die Madonna gemalt hatte.
Ich spiele keine Spiele
, dachte er.
Hier ist sie. Jeder, der sie sieht, wird auch ganz genau wissen, wer ich bin, selbst wenn es mich nicht mehr geben wird, wenn ich in einem Kampf oder durch Krankheit sterbe
.
    In seinen ersten Jahren in Rom waren seine Bilder neckisch und satirisch gewesen. Zum Ergötzen von Kardinälen, die sich gern die verbotene Dunkelheit der Tavernen und des derben Lebens darin vorstellten, malte er Kartenspieler; mannbare Jünglinge, die von Eidechsen gebissen wurden, als wollte die Natur vor den Gefahren der Liebe warnen; Jünglinge, die Obst schälten und nicht ahnten, dass sich jemand angeschlichen hatte, um ihre blassen Hälse und zarten Finger zu betrachten. Seine Arbeiten waren klebrig und anrüchig und verrucht wie die Tavernen und Schlafkammern, in denen er sich die Zeit vertrieb.
    Wann hatte er sich verändert? Was hatte ihn auf den Pfad gebracht, der ihn zu dieser Madonna geführt hatte?
    Die
Ruhe auf der Flucht nach Ägypten
. Er wusste kaum noch, was er damals, ein paar Jahre nach seiner Ankunft in Rom, gemacht hatte. Eine Szene der Heiligen Familie, der die Musik eines Engels beisteht, als sie vor dem rachsüchtigen Herodes flieht, gemalt in der träumerischen Klarheit der Venezianischen Schule. Erst später, in der Galerie der Dame Olimpia Aldobrandini, war ihm bewusst geworden, dass dieser Leinwand sein Herz eingeprägt war.
    Auf dem Bild legte die von der Reise erschöpfte Heilige Mutter das Kinn auf den Kopf ihres Kindes. Das ebenfalls halb eingeschlafene Jesuskind zog an ihrem Umhang, als träumte es davon, an ihrer Brust gestillt zu werden. Menicas Freundin Anna hatte für die Jungfrau Modell gestanden. Sie hatte begriffen,dass ihr Leben als billige Hure nicht lange dauern würde. Trotzdem hegte sie die Hoffnung auf einen Ausweg. Caravaggio hatte der erschöpften, liebevollen Jungfrau ihre Hoffnung, Furcht und Aufnahmebereitschaft eingezeichnet. Die Liebe einer Mutter, die wusste, dass ihr Sohn ein Opfer sein würde, und dennoch bereit war, die Mühsal der Wüste auf sich zu nehmen, um ihn genau dafür zu schonen.
Das habe ich alles im Gesicht einer Hure gesehen
.
    Vor einem Jahr war Anna gestorben, erst fünfundzwanzig Jahre alt, die Haut verwüstet und vernarbt, das rote Haar ausgetrocknet und glanzlos. Bei ihrem Ende war er zugegen, und da hatte sie an die sechzehnjährige Schönheit erinnert, die er als Jungfrau gemalt hatte. Als sie ihr Leben aushauchte, hatte er den Kopf auf ihre Brust gelegt und sich darüber erschrocken, dass er schluchzen musste. Er hatte viele Huren gekannt, die von den Straßen verschwunden waren, worüber er kaum mit den Schultern gezuckt hatte. Um Anna hatte er aber geweint, als hätte sie den Tod

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