Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
sich, in welche Gasse die aus ihren Zimmern vertriebenen Huren jetzt ausweichen würden.
«Unser Maestro ist Künstler.» Roeros Stimme knirschte wie die eines Mannes, der soeben erwacht. «Vielleicht missfallen ihm Eure Nachrichten, Durchlauchtigste Hoheit. Huren hätten keine Verdienstmöglichkeiten, wenn es keine Künstler gäbe.»
Wignacourt tat so, als inspizierte er Caravaggios Pinsel.
Roeros entzündete Augen funkelten misstrauisch durch die glasige Röte, die sie umgab.
Der Großmeister bringt also seinen Wachhund mit, um mich ein bisschen zu reizen
, dachte Caravaggio,
um mein Temperament zu testen.
«Ihr meint, dass Künstler Huren als Modelle benutzen?»
«Das meine ich keineswegs.»
«Oh, ich verstehe. Dann meine ich, dass die Haupteinnahmequelle einer Hure nicht bei Künstlern, sondern bei Soldaten, wie Ihr einer seid, zu finden ist.»
Roero senkte knirschend und grummelnd die Stimme. «Vergleicht mich weder mit einem einfachen Soldaten noch mit einem einfachen Handwerker wie Euch selbst. Ich bin der Graf della Vezza. Meine Linie ist so adelig wie die Zeit selbst.»
Caravaggio verneigte sich tief.
Wenn ich erst einmal selbst Ritter bin, muss ich mir diese Arroganz nicht mehr gefallen lassen. Ich werde den Söhnen Costanzas gleichgestellt sein – und diesem Arschloch auch.
«Ich bitte Euer Hochwohlgeboren untertänigst um Verzeihung.»
Wignacourt strich sich den Bart. «Bruder Roero bezieht sich vielleicht auf Berichte aus Rom – Eure Beziehungen zu Damen aus dem Ortaccio.»
«Das Ehrenduell, für das ich nun mit einem auf mich ausgesetzten Kopfgeld büßen muss, habe ich gegen einen Zuhälter ausgefochten.»
«Wartet im Vorzimmer auf mich, Bruder.» Der Großmeister bedeutete Roero sich zu entfernen. Er warf noch einen strengen Blick auf Caravaggio, trat auf den Korridor hinaus und schloss hinter sich die Tür.
Wignacourt nahm einen breiten Pinsel und rieb sich mit den Borsten über die Handfläche. «Bruder Roero ist sehr um meine Sicherheit besorgt. Für diejenigen, die keine adelige Abstammung nachweisen können, bringt er nur wenig Respekt auf. Lasst Euch von seinem Eifer nicht irritieren.» Er öffnete die Tür. Mit dem Rücken zu Caravaggio sagte er: «Aber unterschätzt ihn auch nicht. Morgen beginnt Ihr mit dem Porträt.»
Als er allein war, schloss Caravaggio alle Fensterläden und zündete eine Lampe an.
Am späten Nachmittag war die Leinwand präpariert. Caravaggio rieb sich die Augen. Sie waren müde und brannten. Erfragte sich, ob Roero ihn angesteckt hatte, indem er ihn einfach angeschaut hatte. Er wollte sich bereits auf den Rückweg zur Taverne der italienischen Ritter machen, als ein Bote eintrat.
Caravaggio drehte ihm die Lampe zu. Der Bote hob den Arm, um sein Gesicht vor dem gleißenden Lichtstrahl zu schützen. Caravaggios Griff lockerte sich vor Schreck, und er ließ die Lampe sinken. Über dem Wams des Boten war ein schwarz-weißes Kreuz, dessen Balken in dreiblättrigen Kleeblättern endeten, die die Heilige Dreifaltigkeit symbolisierten: der Waffenrock der Inquisition.
Der Herold ließ den Arm sinken und musterte Caravaggio, während das Licht vor ihm hin und her schwang. «Michelangelo Merisi aus Caravaggio? Der römische Maler?»
«Wer fragt nach ihm?», flüsterte er.
«Seid Ihr es?»
Caravaggio breitete die Arme aus und ließ sie dann wieder sinken.
«Der Inquisitor Leonetta della Corbara befiehlt für morgen Eure Anwesenheit», sagte der Herold.
Caravaggio fragte erst gar nicht nach dem Grund. Ob er Zeuge oder Angeklagter sein würde, würde er erst erfahren, wenn er vor der Tribunalskammer erscheint.
Der Lichtbogen der Lampe schwang kürzer und schneller. Sein Herzschlag hielt Schritt. Er strich über die Körnung der leeren Leinwand auf der Staffelei. Der Großmeister würde einen Tag länger auf sein Porträt warten müssen.
∗
In dieser Nacht wälzte sich Caravaggio aus Angst vor der Inquisition auf seinem Lager hin und her und starrte gegen die hohe Decke der Taverne der italienischen Ritter. Als er schließlich eindöste, träumte er von Neapel. Er war auf dem Weg zur KirchePio Monte della Misericordia, um den Vertrag für
Die sieben Werke der Barmherzigkeit
zu unterzeichnen, als er zwei Gefängniswärtern begegnete, die eine Leiche aus dem Gefängnis trugen. Die Füße des Toten baumelten herab, die blutleeren Sohlen starrten vor Schmutz. Die Gefängniswärter legten die Leiche nebenan auf den Stufen des Gerichtsgebäudes ab. Sie reckten sich
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