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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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und blinzelten in die Morgensonne.
    Neapel war ein gefährliches Pflaster, wo Passanten Fremden besser aus dem Weg gingen. Aber Caravaggio hatte sich aus dem undurchschaubaren Gewirr der Straße gelöst und war auf die Gefängniswärter zugegangen. «Lasst ihr ihn hier liegen?»
    Einer der Männer runzelte die Stirn. «Wen?»
    Caravaggio zeigte auf die Leiche. «Ihn.»
    «Jemand aus seiner Gemeinde wird kommen und ihn beerdigen.» Der Gefängniswärter wandte sich ab. «Irgendwann.»
    Ein struppiger, brauner Hund nagte an dem mageren Wadenmuskel der Leiche. Caravaggio stieß den Hund mit dem Fuß weg. Der Hund verbiss sich in den Knochen und knurrte, als wäre Caravaggio ein Rivale, der auch von dem Toten fressen wollte. Ein zweiter Tritt und ein Schrei, und das Tier verzog sich.
    Caravaggio hockte sich neben die Leiche und drückte ihr mit der Handkante die Augen zu. Auf dem Gesicht des Mannes spürte er eine Bewegung. Er zuckte zurück. Etwas berührte seine Finger. Ihm stockte der Atem, als er die Läuse sah, die im Bart des Toten herumkrochen. Schaudernd wischte er sie von seiner Handfläche.
    In der Taverne der italienischen Ritter schlüpfte er nackt unter sein Laken, schwitzte das Sackleinen seiner Schlafstatt durch, sodass das Stroh feucht wurde. Sein Traum bewegte sich nun jenseits seiner Erinnerungen an die Gefängnistreppen in die abgründigen Fantasien eines Albtraums hinein. Der Hund riss an der Leiche. Caravaggio scheuchte ihn weg. Die Läuse jucktenihn überall. Sie krochen über das Gesicht seines toten Vaters. Er kniete neben der Leiche und wartete auf jemanden, der sie beerdigen würde. Aber niemand kam. Die Augen seines Vaters öffneten sich. Jedes Mal, wenn Caravaggio sie zudrückte, öffneten sich die Lider wieder, als wollte sein Vater ihn beobachten. «Ich schaue immer noch zu, Papa», schluchzte er.
    Dann brachte sein Traum ihn in die Kirche Pio Monte. Er führte ein paar letzte Pinselstriche an den
Sieben Werken der Barmherzigkeit
aus, den Glanz an den Zehen des Kadavers, der ins Bild getragen wurde, um die Christenpflicht, die Toten zu bestatten, darzustellen. Bei jedem Pinselstrich zuckte er wie gekitzelt, als ob die Füße des Toten seine eigenen wären. Die Gefängniswärter kamen in die Kirche und hoben ihn auf. Er wollte protestieren, konnte sich aber weder bewegen noch sprechen. Sie warfen ihn in eine Pestgrube. Am Rand des Grabs war die Silhouette einer Frau zu sehen. Sie schaufelte Kalk über ihn.
    Er fuhr im Bett auf und hustete, als wollte er den ungelöschten Kalk aus der Kehle bekommen. Immer noch traumbefangen sah er sich im Zimmer um. Lena hatte am Grab gestanden.
    Langsam begriff er, wo er sich befand. Das Zimmer war leer. Er bedauerte, erwacht zu sein. Lieber wäre er tot gewesen und hätte sie bei sich gehabt.
    ∗
    Am Palast des Inquisitors ging ein Malteser vorbei; er trug als Strafe der Inquisition einen hohen Hut, auf den das Bild eines vor Satan knienden Sünders gemalt war. Von Dämonen angestachelt, machte sich der Teufel daran, sein erschrockenes Opfer mit der Forke aufzuspießen. Die Augen verschämt niedergeschlagen, ging der Mann zur Schadenfreude der Passanten langsam die Straße entlang.
    Als einzige Verzierung der Palastfassade prangten an einem Balkon über dem Tor die Wappen der Inquisition. Ein Dominikanerpater führte Caravaggio die Treppe hinauf. Er stieß eine niedrige Tür auf und nickte mit dem Kopf. «Hier hinein.»
    Die Tür war so niedrig gebaut, um Demut zu erzwingen und Angst zu erzeugen. Caravaggio musste sich bücken, um in die Tribunalskammer zu gelangen. Unter einem schlichten Bild der Kreuzigung saß an einem niedrigen Pult ein Notar. Unter zwei Fenstern mit geschlossenen Läden hockte der Inquisitor in gekrümmter Haltung auf seinem Thron. Dieser war mit einer hohen Eichenlehne in die Mitte eines Chorgestühls für fünf Personen gebaut, und über dem Kopf des Inquisitors war ein goldenes Kruzifix angebracht.
    Der Repräsentant der Römischen Inquisition saß nach rechts gelehnt da, trug eine formlose schwarze Soutane und hob die Augen zum Zeichen für den Notar, zu beginnen.
    «Seid Ihr Michelangelo Merisi, ein römischer Maler?» Der Notar tunkte seine Feder ins Tintenfass. Als Caravaggio bejahte, begann der Notar mit seinen Aufzeichnungen, die er ins Lateinische übersetzte, während er fortfuhr. «Tretet vor und zeigt Euch dem Inquisitor.»
    Inquisitor della Corbara rückte sein schwarzes Scheitelkäppchen zurecht. Das Zwielicht warf

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