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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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alles.« Sie verkrampft sich in meinen Armen. »Sie hat kein Gehirn.«
    »Ich möchte, dass du es verstehst, Scottie«, sagt Dr. Johnston. »Und du auch, Alex. Wir sagen nicht, dass eure Mutter wertlos ist, nein, es ist die medizinische Behandlung, die wertlos ist. Meine Aufgabe ist es zu heilen, und das kann ich nicht.«
    »Versteht ihr das?«, frage ich.
    »Ja«, sagt Alex.
    »Ja«, sagt Scottie.
    »Sie wollte auf keinen Fall in diesem Zustand am Leben erhalten werden. Selbst wenn sie aus dem Koma erwachen würde, was sehr unwahrscheinlich ist, dann...«
    »Wäre sie wie’ne lebendige Leiche«, sagt Scottie.
    »Sie würde so nicht leben wollen«, sage ich.
    »Ich weiß das doch alles!«, sagt Scottie wieder.
    »Eure Mutter bekommt eine großzügige Dosis Morphium, deshalb hat sie keine Schmerzen, aber sonst können wir nicht mehr viel für sie tun.«
    Wir warten nur darauf, dass sie stirbt, denke ich.
    »Habt ihr sonst noch eine Frage an mich?«
    Alex schüttelt den Kopf.
    »Was passiert mit ihr, wenn sie tot ist?«, fragt Scottie.
    Dr. Johnston nickt, und ich deute das so, dass ich antworten soll. Ich drücke Scotties Schulter.Wie kann ich ihr sagen, dass wir die Leiche ihrer Mutter verbrennen werden, dass wir ihre Mutter in graue, grobe Asche verwandeln? Wie ist es überhaupt möglich, dass wir zu Asche werden?
    »Wir werden ihre Asche im Meer verstreuen«, sage ich.
    Scottie hält die Luft an. Dann setzt ihre Atmung wieder ein. »Wann stirbt sie?«
    Der Arzt macht ein Gesicht, als wollte er gleich losreden, bremst sich aber. »Das ist jetzt der dritte Tag, an dem sie auf sich gestellt ist. Es wird nicht mehr lange gehen, fürchte ich. Ihr habt aber schon noch Zeit mit ihr.«
    Wir schauen zu Joanie.
    »Manche Menschen verabschieden sich gleich und verlassen das Krankenhaus«, sagt Dr. Johnston. »Andere bleiben bis zum Ende.«
    »Und wir?«, fragt Scottie.
    »Wir machen, was ihr wollt«, sage ich. »Es ist eure Entscheidung.«
    Dr. Johnston erhebt sich. »Bitte, sagt mir Bescheid, wenn ihr noch Fragen habt. Egal, welche.«
    Ich entdecke eine Verfärbung auf seinem weißen Kittel. Es ist kein Blut, sondern ein hellbrauner Fleck, der aussieht wie Erdnussbutter. Ich stelle ihn mir in der Cafeteria vor, wie er ein Sandwich mit Erdnussbutter und Johannisbeergelee isst, und dieses Bild tröstet mich irgendwie. Joanie aß sehr gern Erdnussbutter auf Tortillas, das war ihr Trostessen. Ich wollte, sie könnte jetzt etwas essen. Ich wollte, sie könnte eine letzte große Mahlzeit zu sich nehmen, wie die Gefangenen vor der Hinrichtung. Malasadas, geschabtes Eis, gegrillten Ahi vom Buzz’s, Kiawe-Schweinesteak vom Hoku’s, einen Teriyaki-Burger und einen Dreamsicle Shake mit Kokosnuss, Datteln und Vanille. Das sind ihre Lieblingsgerichte.
    »Danke, Sam«, sage ich.
    »Es tut mir alles sehr leid«, sagt er, und er sieht aus, als tue es ihm wirklich leid. Nicht nur unseretwegen, sondern auch seinetwegen. Ich habe noch gar nicht daran gedacht, was der Tod für ihn als Arzt bedeutet. Der Tod bedeutet, er hatte keinen Erfolg. Er hat Joanie im Stich gelassen, und er hat uns im Stich gelassen.
    »Ist schon okay«, sage ich, was komisch klingt.
    »Ich lasse euch jetzt allein«, sagt er.
    Es ist ganz still, als er gegangen ist. Alex setzt sich zu mir aufs Bett. Obwohl ich finde, dass Joanies Gesicht eingesunken ist und kleiner wirkt, denke ich gleichzeitig, dass sie sich gar nicht so stark verändert hat. Das sind meine Erwartungen: dass sie altert, dass sie verfällt, bevor sie geht. Aber es ist anders. Sie ist in der Zeit erstarrt. Ob ich will oder nicht - ich denke immer noch, dass sie für uns zuständig ist, dass sie uns stumm und mit einer enormen Kraft dirigiert. Scotties Blick ist starr und ziellos. Sie wirkt wie in Trance.
    »Und jetzt?«, fragt Alex.
    »Wir warten auf Onkel Barry und auf eure Großeltern«, sage ich. »Sie wollen sich heute verabschieden.«
    »Und was machen wir?«, will sie wissen. »Warten wir bis zum Schluss?«
    Sid lässt seine Zeitschrift sinken.
    »Was wollt ihr?«, frage ich. »Was möchtet ihr Mädchen?«
    Sie antworten nicht. Ich frage mich, ob sie sich vielleicht schämen zu sagen, dass sie nicht bis zum Schluss bleiben wollen. Wir nehmen schon so lang Abschied.
    Wie wird das Ende aussehen? Wird sie ruhig einschlafen? Oder wird sie um ihr Leben kämpfen? Wird sie die Augen öffnen, werden ihre Hände nach uns greifen?
    »Ich glaube nicht, dass ihr Mädchen bis ganz zum Schluss bleiben

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