Mit dem Blick aufs weite Meer
denken, an Kents dunkle Stimme, seine zärtlichen Hände, seine Lippen …
Wütend steckte sie eine Stecknadel durch das Schnittmusterpapier. Sie hatte sich sowieso schon die halbe Nacht den Kopf nach einer glaubwürdigen Ausrede für Kent zerbrochen.
Angela wollte nicht mit ihm wegfahren. Natürlich konnte er sie dazu auch nicht zwingen, aber ziemlich in Verlegenheit bringen, wenn er hereinmarschiert käme und sie zum Mitkommen aufforderte, als hätte er ein Recht auf sie.
Er hatte nicht einmal nach ihrem Einverständnis gefragt, sondern es einfach vorausgesetzt und befohlen, sie solle ihre Tasche packen. Dann hatte er sie mit ihrem Verlangen nach ihm allein gelassen.
Er war sehr geschickt darin, Menschen zu beeinflussen, und sie ahnte, dass sie ihm wahrscheinlich unterliegen würde. Deshalb musste sie sich einen Ausweg einfallen lassen, um eine Auseinandersetzung mit ihm zu vermeiden.
Sie schätzte, dass die Flugzeit nach San Francisco knappe zwei Stunden betragen würde.
Selbst wenn Kent und Harvey bei Sonnenaufgang abgeflogen wären, könnten sie frühestens am Nachmittag zurückkommen, wahrscheinlich aber später. Es blieb ihr noch ausreichend Zeit, den Schnitt für die Segeltuchhosen auszuarbeiten und sich einen Plan auszudenken, Kent auszuweichen.
Gegen acht Uhr hörte Angela, wie unten die Ladentür geöffnet wurde. Einen Augenblick lang befürchtete sie, es könnten Harvey und Kent sein. Zu ihrer Erleichterung erklang Barneys typischer Pfiff, und sie rief: “Ich bin hier oben, Barney.”
Er polterte mit seinen schweren Stiefeln die Treppe herauf. “Du bist heute aber früh dran.
Ein kreativer Anfall, was?”
Angela lehnte sich im Stuhl zurück und betrachtete die Schnitteile aus Papier, die sie um die Schneiderpuppe drapiert hatte. “Was hältst du davon?”
Barney lachte. “Sie werden beim ersten Regenguss aufweichen. Man kann aus Papier keine Hosen machen.”
Sie streckte ihm die Zunge heraus. “Wie geht es Sally und dem Baby? Wo ist eigentlich Scott ?”
“Ich habe heute jemand, der auf ihn aufpasst. Sally kommt am Montag nach Hause.”
Schade, dass sie nicht heute kommt, dachte Angela. Es wäre eine gute Entschuldigung gewesen, das Geschäft zu verlassen und Sally und das Baby zu versorgen. Halblaut sagte Angela: “Dad ist mit Kent nach San Francisco geflogen.
Barneys Lächeln wurde schwächer. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sagte: “Will er zu Charlotte? Meinst du nicht, Dad sollte die Finger von ihr lassen?”
“Ich weiß nicht.” Angela seufzte. “Es ist Harveys Entschluss, oder? Machst du dir vielleicht auch deshalb Sorgen, weil keine andere Frau den Platz deiner Mutter einnehmen soll?”
“Aha!” murrte Barney. “Du hältst mich also für einen ego istischen Sohn?” Er kickte mit dem Fuß nach einem Stofffetzen auf dem Boden.
Angela zuckte die Schultern und meinte lächelnd: “Wem der Schuh passt…”
“Zum Teil stimmt es schon”, gab er zu und durchblätterte Angelas Schnittmusterbögen.
“Aber was ist, wenn sie wieder wegläuft? Vielleicht gerade dann, wenn Dad denkt, sie würde jetzt für immer bei ihm bleiben.” Trotzig fügte Barney hinzu: “Sie ist überhaupt nicht wie Mutter.”
“Es muss vielleicht auch eine völlig andere Frau sein. Eine, die Anna ähnlich wäre, würden wir doch ständig mit ihr vergleichen, und er auch.”
Nachdenklich stieg Barney die Stufen hinunter. Kurz darauf rief er zu Angela hoch: “Ich schütte den Kaffee weg. Er schmeckt ja fürchterlich. Ich koche neuen.”
Als die ersten Kunden kamen, musste Angela ihre Schnittmusterbögen beiseite legen und hinuntergehen. Zwischendurch, wenn gerade kein Kunde im Laden war, nähte sie an einer Serie von sechs Segelsäcken. Die Säcke waren aus festem Segeltuch mit einem Futter aus Kunststoff. Sie hatten Karabinerhaken, mit denen sie beim Segelwechseln an der Reling befestigt werden konnten.
Kurz vor Mittag stürmte ein hagerer, bärtiger Mann herein. “Mein Großsegel hat einen Riss.
Können Sie das reparieren?” Wahrend er auf Angelas Antwort wartete, betrachtete er interessiert die Auslagen in den Regalen. “Vom Leeliek zum Luvliek”, erklärte er. “Kam auf Vorwindkurs in einen Sturm bei Cape Flattery. Beim Übergehen zerriss das verdammte Segel.”
Das Telefon läutete. Während Angela zum Hörer griff, meinte sie zu dem Kunden: „Ich habe im Augenblick sehr viel zu tun. Am besten sie suchen einen anderen Segelmacher auf. In Point Hudson gibt es
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