Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit dem Blick aufs weite Meer

Mit dem Blick aufs weite Meer

Titel: Mit dem Blick aufs weite Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Grant
Vom Netzwerk:
einen.”
    Am Telefon meldete sich Charlotte. Sie schien in heller Aufregung zu sein. “Angie!”
    “Ich nehme diesen hier”, erklärte der bärtige Mann und legte einen blauen Segelsack auf den Verkaufstisch.
    Angela bat Charlotte, kurz zu warten, und nannte dem Kunden den Preis. Der Mann holte eine vom Salzwasser befleckte Brieftasche aus der Jacke und reichte Angela mehrere zerknitterte Geldscheine.
    “Angie, er ist hier”, klang Charlottes Stimme aus dem Hörer. “Ich weiß nicht, was ich machen soll! Kent rief von der Hotelrezeption an und sagte, er sei mit Harvey unten.”
    “Danke”, sagte Angela zu dem Kunden.
    “Was soll ich tun?” jammerte Charlotte.
    Angela überlegte kurz. “Möchtest du sie nicht sehen?”
    “Beide auf einmal?”
    “Charlotte, hör zu: Wie wäre es, wenn du endlich mit beiden reinen Tisch machen würdest, dann hättest du es hinter dir.” Ausgerechnet ich gebe Ratschläge, dachte Angela selbstkritisch.
    “Wie soll ich das anstellen? Es geht einfach nicht. Schon deshalb nicht, weil meine Mutter mich wahrscheinlich umbringen würde. Als ich weglief, dachte ich doch nie daran, dass Harvey mich suchen würde!”
    Charlotte war einundfünfzig Jahre alt. Angela fand, dass es für Charlotte höchste Zeit sei, endlich die Angst vor ihrer Mutter zu verlieren.

    “Warum kann Harvey mich nicht einfach vergessen?” sagte Charlotte.
    Angela seufzte. “Falls du das wirklich erwartest, kennst du Harvey nicht.” Ihr Schwiegervater war zwar ein sehr gutmütiger Mensch, aber er konnte äußerst hartnäckig sein, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. “Wenn du ihn loswerden willst, musst du es ihm ins Gesicht sagen.” Als Angela längere Zeit keine Antwort bekam, und nur gedämpfte Straßengeräusche durch den Hörer kamen, fragte sie: “Charlotte, bist du in deinem Hotelzimmer?”
    “Ich bin in einer Telefonzelle auf der anderen Straßenseite. Als Kent mich anrief, bin ich durch den Seitenausgang aus dem Hotel gerannt. Aber ich habe meine Brieftasche und meinen Pass oben. Wenn ich meine Telefonkarte nicht bei mir gehabt hätte, hätte ich dich nicht einmal anrufen können.”
    “Du hättest doch ein R-Gespräch anmelden können.” Es war unklug von Kent und Harvey gewesen, durch ihr gleichzeitiges Auftauchen Charlotte eine solche Angst einzujagen. Keiner von ihnen konnte natürlich den wahren Grund für diese erneute Flucht wissen.
    Wenn Charlotte ein Feigling ist, dann bin ich auch einer, dachte Angela. Bin ich nicht auch dabei, mir einen Plan auszudenken, wie ich die Begegnung mit Kent heute nachmittag vermeiden kann? Wir reißen beide aus, weil wir Feiglinge sind.

5. KAPITEL
    Angela nähte das Kunststofffenster in den oberen Teil eines Segeltuchverdecks und fuhr anschließend zum Hafen hinunter, um das Verdeck am Segelboot anzupassen. Dort stellte sie fest, dass alles ungefähr zwei Zentimeter zu groß war. Besser zu groß als zu klein, dachte sie, aber ich hätte zwischendurch eine Anprobe machen sollen.
    Wieder im Laden, trennte sie eine lange Naht auf, schnitt ein Stück Stoff ab und fasste die Schnittkante mit Band ein. Plötzlich kam Kent zur Tür herein. Er war allein.
    Angela beugte sich tief über die Nähmaschine. Das schwarze Nahtband hatte sie sich über die rechte Schulter gelegt und das Kunststofffenster unter den linken Arm geklemmt. Erst nachdem sie das Fenster in das Verdeck eingenäht hatte, drehte sie sich zu Kent um.
    Er lehnte am Tresen, hatte eine Hand in die Hosentasche geschoben und war, wie immer, tadellos gekleidet.
    “Wo ist Harvey?” fragte Angela schließlich.
    “In San Francisco.”
    “Ist Charlotte noch dort?”
    Kent zuckte die Schultern. “Jedenfalls ist sie im Hotel noch gemeldet.”
    Harvey wartet also geduldig und hofft, dass Charlotte in ihr Hotelzimmer zurückkommen wird, dachte Angela. Irgendwann musste sie es auch, um Brieftasche und Pass zu holen.
    Angela wandte sich um, drückte auf das Pedal, und die Maschine ratterte eine weitere Naht herunter. Ihr Herz klopfte wie wild.
    Sie blickte angestrengt auf den Nähfuß, der den Stoff Stich für Stich weitertransportierte.
    Als sie das Pedal losließ, war plötzlich alles still.
    Sie konnte nicht einfach auf ihrem Stuhl sitzen bleiben, weil Kent sonst merken würde, dass sie Angst vor ihm hatte. Aber wahrscheinlich war es ihm längst aufgefallen.
    Als sie sich zu ihm herumdrehte, hielt er einen der Segelsäcke in der Hand und begutachtete ihn. Dann hob er den Kopf und fragte:

Weitere Kostenlose Bücher