Mit dem Blick aufs weite Meer
kann es aber keine Familienähnlichkeit geben, denn ich bin adoptiert worden.”
“Aber…” Nein, sie durfte Charlottes Geheimnis auf keinen Fall verraten. Verwirrt blickte Angela zur Seite, entzog ihm aber ihre Hand nicht.
“Eine Schulfreundin meiner Mutter hat mich aufgenommen”, erklärte er ungerührt.
Angela zuckte zusammen. “Wie bitte? Ich habe nicht verstanden, was du gesagt hast”
“Angela, ich gebe mir große Mühe, einen Gesprächsstoff zu finden, der dich nicht aufregt.”
Hastig entzog sie ihm die Hand. “Ich weiß, dass ich mich wie eine Idiotin benehme. Ich…
du …” Sie stockte, als sich ihre Blicke trafen.
Seine Augen waren jetzt dunkel. “Ich führe mich auch nicht besser auf, sonst würde ich doch nicht ausgerechnet über meine zweifelhafte Geburt reden.”
“Warum zweifelhaft?”
“Meine leibliche Mutter war eine Schulfreundin meiner Adoptivmutter. Mehr weiß ich nicht.”
Das Thema begann Angela nun doch zu faszinieren. “Hast du deine Adoptivmutter denn nie gefragt, wer deine leibliche Mutter ist?”
“Über so etwas kann man mit meiner Mutter nicht reden. Es regt sie zu sehr auf, und meine Fragen würde sie sowieso nicht beantworten. Es kann jema nd sein, den ich schon mein ganzes Leben lang kenne/oder eine Bridgefreundin meiner Mutter oder eine völlig Fremde, was weiß ich. Außerdem ist es mir auch egal.”
Angela überlegte, ob er sich nur einredete, dass es ihm nichts ausmachte. “Und dein Vater?”
“Mit ihm konnte man nur über Immobilien und Geld reden. Es ist wirklich erstaunlich, dass Charlotte trotzdem ein so aufgeschlossener Mensch ist.”
“Aber ich dachte immer, du hältst nicht viel von Charlotte?”
“Sie bringt mich nur zur Verzweiflung”, erklärte er aufgebracht. “Aber als ich noch klein war, habe ich sie angehimmelt, obwohl ich sie nur selten gesehen habe. Sie ist sechzehn Jahre älter als ich und hat, soweit ich mich erinnern kann, nie zu Hause gelebt. Wenn sie aber gelegentlich auftauchte, stellte sie das ganze Haus einige Tage lang auf den Kopf und verschwand dann wieder.”
Angela griff nach seiner Hand und bemerkte mitfühlend: “Deine Eltern waren gefühlskalt, nicht wahr?”
Ohne die Berührung zu beächten, antwortete er bitter: “Ja. Demnach müsste ich ihr leibliches Kind sein und nicht Charlotte. Findest du nicht auch?”
“Nein.” Angela hielt ihn nicht für gefühlskalt, sondern vermutete, dass er sich nur hinter einer Maske versteckte. Sie verstand das auch. Wie jedes Kind hatte er sich nach Anerkennung gesehnt, und die konnte er von seinen Eltern nur bekommen, wenn er so wurde wie sie, nämlich kühl und nüchtern.
Sie zog ihre Hand wieder zurück und fragte: “Gehst du eigentlich auch ins Theater?”
Kent hatte sich wieder völlig unter Kontrolle, aber Angela konnte jetzt hinter die Maske schauen. “Ich war seit Jahren nicht mehr im Theater. Als ich noch im College war, habe ich mir gern eine Aufführung angesehen.”
“Bei uns findet gerade eine Theaterwoche statt.”
“Wollen wir hingehen?” Gespannt blickte er sie an.
Die Frau mit dem Buch und die drei Jungen waren inzwischen gegangen. Draußen war es dunkel geworden. Kent und Angela hatten sich über eine Stunde miteinander unterhalten.
Er griff nach ihrer Hand, drehte die Innenseite nach oben und zeichnete behutsam eine der Linien nach. “Ich glaube, wir haben beide große Lust, uns das Theaterstück gemeinsam anzuschauen.”
“Ich weiß nicht…” meinte sie zögernd, obwohl sie das Thema selbst angeschnitten hatte.
Kent musste es als Einladung aufgefasst haben.
“Was hast du?” Er betrachtete sie wieder mit jenem durchdringenden Blick, als wollte er ihre Gedanken lesen.
Angela nahm die beiden leeren Pappbecher und stellte sie ineinander. “Es hat keinen Sinn.
Wir… Warum fährst du nicht zurück nach Vancouver und gehst mit jemand anderem aus? Es dürfte doch bestimmt jede Menge Frauen geben, die…”
“Jede Menge”, stimmte er zu.” Ein Dutzend oder vielleicht auch hundert. Angenehme, gutaussehende und intelligente. Aber unter ihnen ist keine, die mir nachts den Schlaf raubt.”
Bei der Erinnerung an ihre eigenen schlaflosen Nächte überlief es Angela ganz heiß. “Bist du mit ihnen ins Bett gegangen?” fragte sie leise.
Er lächelte gequält. “Es hätte nichts genützt. Es wäre, als würde man Schokolade essen, wenn einem nach Eiskrem verlangt.”
Bin ich für ihn Schokolade oder Eiskrem? fragte Angela sich. Was würde
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