Mit dem Blick aufs weite Meer
Und je häufiger er sie sah, desto mehr spukte sie ihm im Kopf herum. Er fühlte, wie sein Herz schon jetzt vor Verlangen nach ihr heftig klopfte.
“Willst du nicht mit Harvey zu mir kommen? Ihr könnt in meinem Apartment wohnen.”
“Bitte, komm nach Port Townsend. Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen”, flehte Charlotte.
Es schien sein Schicksal zu sein, nicht von Angela loszukommen. Sie suchte ihn nicht nur in seinen Träumen heim, sondern brachte ihn auch am Tage durcheinander. In letzter Zeit hatte er sich manchmal ge fragt, ob ihr Bild in seinen Gedanken nicht greifbarer war, als die Verträge, Grundstücke oder Finanzen.
Inzwischen wusste er, dass er sie nicht nur körperlich begehrte. Er sehnte sich manchmal nur danach, einfach ihre Stimme zu hören oder das halb belustigte, halb ärgerliche Aufblitzen in ihren Augen zu sehen. Er wollte dieses Gefühl noch einmal erleben, wie in ihrer Gegenwart das Leben schöner wurde.
Mit Geld oder Immobilien zu spekulieren war für ihn eine Selbstverständlichkeit, doch er hatte Angst, sich auf eine Liebesbeziehung einzulassen. In solchen Dingen fehlte ihm die Erfahrung. Und eine Beziehung, die so vielversprechend und gleichzeitig so heikel war, hatte er noch nie gehabt.
Angela war nicht sonderlich überrascht, als ihr Charlotte von Kents Besuch berichtete.
Zufällig hatte sie mit angehört, wie Harvey zu Charlotte gesagt hatte, dass Kent endlich die Wahrheit erfahren müsse.
“Ich werde ihm alles erzählen”, erklärte sie jetzt Angela. “Harvey meint, ich müsse es tun.”
Angela nickte. “Es wird eine Erleichterung für dich sein. Dann bist du es endlich los und musst es nicht länger vor dir herschieben.”
Charlotte strich sich das kurzgeschnittene graue Haar aus dem Gesicht und ging zum Fenster. “Wie in aller Welt soll ich meinem jüngeren Bruder klarmachen, dass er eigentlich mein Sohn ist? Vor allem, wenn es jemand wie Kent ist?” Sie schaute zu Angela hinüber.
“Das hört sich vielleicht verrückt an, aber manchmal kommt es mir vor, als wäre ich die jüngere von uns beiden. Er ist immer so wahnsinnig verant wortungsbewusst. Solche albernen Sachen wie ich hätte er nie gemacht. Er kann so…” sie seufzte und machte ein bekümmertes Gesicht, ” … so verdammt kalt sein.”
Angela ging zu Charlotte und legte ihr mitfühlend die Hand auf die Schulter. “Ich glaube, du täuschst dich in Kent. Seine kühle Art ist nur eine schützende Maske. Er ist nicht so unverwundbar, wie du denkst.”
Charlotte lachte schrill. “Du kennst ihn nicht!” Angela überlegte, ob sie am Wochenende nach Seattle fahren sollte. Dann könnte sie Kent aus dem Weg gehen. Oder sollte sie Sally besuchen und ihr mit dem Baby helfen. Eine andere Lösung wäre, mit Scott zum Angeln zu gehen.
Als Angela am Freitagabend vom Geschäft nach Hause kam, sah sie Kents Chrysler in der Einfahrt stehen. Damit war ihre Hoffnung, er wäre mit dem Privatjet gekommen und könnte deshalb jederzeit wieder abfliegen, zunichte gemacht.
Nachdem sie ihr Auto neben dem Chrysler geparkt hatte, ging sie ins Haus. Im Wohnzimmer traf sie alle an. Auf der Couch, die mit der Rückenlehne zur Tür stand, saßen Charlotte und Harvey, Kent im selben Sessel, den sie bei ihrem nächtlichen Zusammensein benutzt hatten.
Kent bemerkte Angela zuerst. Sie ging unsicher zur Couch und blieb dahinter stehen. “
Charlotte drehte sich zu ihr herum und sagte: “Charles hat angerufen. Du möchtest ihn bitte so schnell wie möglich zurückrufen.”
Seitdem Angela dummerweise mit Charles ins Theater gegangen war, hatte er fast täglich bei ihr angerufen. “Ich telefoniere morgen mit ihm”, meinte sie gleichgültig, weil sie sich von Kent beobachtet fühlte. So unbefangen wie möglich begrüßte sie ihn: “Hallo, Kent. Wie geht es dir?”
Er begrüßte sie mit der gleichen Lässigkeit. Vielleicht hat er in der Zwischenzeit beschlossen, dass er mit mir nichts zu tun haben will, dachte sie und fand es gut so.
Harvey goss Sodawasser in ein Glas, gab einige Spritzer Zitronensaft dazu und reichte es ihr.
“Vielen Dank, Dad. Ich nehme es mit hinauf zum Duschen”, sagte sie lächelnd.
“Willst du noch ausgehen?” fragte Kent.
“Ja.” Sie warf ihm einen Blick zu, der ihm zu verstehen gab, dass ihn das überhaupt nichts anginge. Dann sah sie zu Charlotte und stellte zum wiederholtenmal fest, wie sehr sich die beiden glichen. Allerdings hatte Charlotte ihr Geheimnis noch nicht preisgegeben. Das
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