Mit dem Teufel im Bunde
in den Himmel hinauf. Auf dem kräftigen, quadratisch gemauerten Unterbau und dem daraufliegenden Oktogon mit den Zifferblättern der Uhr in alle vier Himmelsrichtungen türmten sich drei mit Kupfer belegte, «Welsche Hauben» genannte Zwiebelkuppeln, die oberen beiden von Säulen zu Laternen geformt. Darüber erhob sich eine schlanke Pyramide mit einer umlaufenden goldenen Krone auf halber Höhe und einer vergoldeten Kugel mit Wetterfahne und dem Kreuz auf der Spitze.
«Bei allem Bemühen», erklärte die elegante Dame nach einer Weile, «ich sehe auch heute nur eine äußerst geringe Neigung. Für mich», sie senkte den Kopf und drehte ihn behutsam einmal nach links und einmal nach rechts, als müsse sie prüfen, ob der Hals nach dem langen Starren noch beweglich sei, «für mich sieht der Turm gerade aus, keinesfalls bedrohlich geneigt. Verzeiht einer unwissenden Frau, lieber Sonnin, gewiss ist meine Frage dumm, womöglich scheint sie gar respektlos, was sie keinesfalls sein soll. Aber seid Ihr ganz sicher, dass Eure Berechnungen stimmen? Vier Fuß Überhang nur in der Spitze oberhalb des Oktogons? Das müsste ich doch auch ohne Eure geheimnisvollen Gerätschaften erkennen.»
«Ganz richtig, Madam, ganz richtig», beeilte sich Hauptpastor Goeze zu sagen. Er kannte den Baumeister lange und gut genug, um zu wissen, dass dessen leises Schnaufen wenig Gutes verhieß. Auch war er es so schrecklich leid. Seit Monaten, genaugenommen seit Jahren, schwelte die Debatte um die Neigung des Katharinenturms, um dieFrage, ob diese Neigung Gefahr bedeute, für den Turm wie für die Menschen, die an seinem Fuß entlanggingen, gar die Kirche betreten wollten. Mit Schaudern erinnerte er sich an das, was er in den Annalen der Kirche gelesen hatte, dass nämlich anno 1648 in einer stürmischen Februarnacht der erst viereinhalb Jahrzehnte zuvor aufgesetzte erste Turmhelm heruntergestürzt war. Er hatte Dach, Gewölbe und Teile der Südwand erheblich beschädigt, zum Glück war in jener Nacht niemand in der Nähe gewesen. Schon der Gedanke, gottesfürchtige Menschen auf dem Weg zu Andacht und Gebet könnten von der herabkippenden Turmspitze oder auch nur einem einzigen fallenden Stein getroffen und erschlagen werden, war entsetzlich. Immerhin hatte das Unglück den Bau dieser Turmspitze von erhebender Schönheit zur Folge gehabt.
Er vertraute fest auf Gottes Ratschluss und Plan, ohne Zweifel fester als mancher seiner Amtsbrüder, die es neuerdings nicht mehr verstanden, Theologie und Philosophie auseinanderzuhalten. Doch das bedeutete keinesfalls, profane Pflichten wie das Instandhalten von Mauerwerk, insbesondere von kirchlichem, zu vernachlässigen. Man mochte Johann Melchior Goeze manches nachsagen, dumm, schwärmerisch, gar ein Phantast war er nicht. Wenn seine Seele und seine Gedanken auch häufig in höheren Sphären zu schweben schienen, stand der Hauptpastor mit beiden Beinen fest auf der Erde. Insbesondere in weltlichen Dingen, wozu leider auch lästige Angelegenheiten wie die Finanzierung der immer wieder nötigen Reparaturen am Gemäuer und an der Ausstattung der Kirche gehörten. Gerade jetzt bedurfte die Kanzel, dieses wunderbare Kunstwerk aus schwarzem Marmor mit Alabasterfiguren der zwölf Apostel, dringend der Reparatur des tragenden, in der Gestalt Moses geformten Pfeilers, der sich gesenkthatte. Wie sollte man mit der nötigen Strenge und Eindringlichkeit der Gemeinde predigen, wenn man auf unsicherem Grund stand? Oder – mindestens so dringend erforderlich – die Ausbesserung der Kupferdeckung des Daches. Das wiederum bedeutete, wohlhabende Mitglieder seiner Gemeinde bei allerbester Laune und der Kirche, wie auch ihm ganz persönlich, gewogenen zu halten.
«In der Tat, verehrte Madam van Keupen, es ist wirklich erstaunlich. Auch ich habe es zunächst nicht glauben wollen. Obwohl, nun ja, man sieht es doch. Unser verehrter Baumeister hat recht: Der Turm neigt sich zur Seite. Nach Südwesten. Allein der Schaft neigt sich gute vier Fuß, die Spitze, die zudem in sich verdreht ist, noch einmal vier Fuß. Zusammen eine Neigung von gut acht Fuß, das ist kein Pappenstiel. Besonders, wenn man das Gewicht der Lauben, Laternen und der Spitze bedenkt – stolze siebenhundertvierzigtausend Pfund. Sicher erinnert Ihr Euch, Madam, dass ein Zimmermeister, ein Dachdecker, der Bauhofinspektor und sein Maurermeister, vier unserer zuverlässigsten Bau- und Handwerksmeister, zu dem gleichen Ergebnis gekommen sind. Wenn auch die
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