Mit dem Teufel im Bunde
sich um.
«Warum nennt Ihr mich ständig Madam und nicht mehr so wie früher? Ich bin noch die gleiche Frau.»
Elsbeth neigte abwägend den Kopf zur Seite. «Geh schon mal vor, Tobias», sagte sie und schob den Jungen zur Treppe, «warte unten, ich komme gleich nach. Das stimmt nicht», sagte sie, wieder an Madam Vinstedt gewandt, «das seid Ihr keinesfalls.»
«Warum? Ich habe geheiratet, mehr ist nicht geschehen. Ihr habt mich doch immer beim Vornamen genannt, so wie ich Euch. All die Jahre.»
Elsbeth schüttelte den Kopf. «Ihr habt nicht nur geheiratet, Ihr habt Euren Stand auch sonst verändert, absolut verändert, das wisst Ihr genau. Bis vor einigen Monaten wart Ihr überhaupt ohne Stand, Ihr wart eine Wanderkomödiantin, eine besondere, gewiss, keine, die für diesen Beruf geboren war. Ihr kamt als Freundin in das Haus meiner Herrschaft, trotzdem war Euer Stand unserem im Souterrain näher als dem von Madam und Monsieur Herrmanns und Madam Augusta oben im Salon. Nicht wegen Eurer Herkunft, das nicht, aber wegen Eures Berufes. Und das zählt. Nun habt Ihr einen Bürger geheiratet und seid Madam Vinstedt. Ihr seid zu Euren Wurzeln zurückgekehrt und habt nichts mehr mit uns im Souterrain gemein. So sind die Spielregeln, es ist besser für Euch, wenn Ihr das beachtet. Für Euer Wohlergehen und das Eures Gatten, Madam Vinstedt.»
Einen Moment herrschte Stille in der Diele. «Ich wollte Euch nicht erschrecken», sagte Elsbeth dann, ihre Stimme klang behutsam, «ich kenne Euch lange und weiß um Euren Eigensinn. Und Ihr wisst, dass ich Euch nur Glück wünsche, alle tun das, ob wir im Souterrain oder unsereHerrschaften im Salon. Die meisten sagen, Ihr habt schon großes Glück gehabt: ein behagliches Zuhause, ein freundlicher Ehemann, ein Ende Eurer anstrengenden Wanderjahre, des ganzen ungewissen Lebens. Und der Anfeindungen, das auch. Vielleicht, man wird sehen. Ich finde, bei allem Glück habt Ihr auch mutig entschieden. Sicher wisst Ihr das, deshalb mache ich mir keine Sorgen. Ihr habt schon andere Stürme durchgestanden. Und nun muss ich gehen, der Junge wartet. Verzeiht meine lange Rede, aber Ihr habt gefragt.»
Madam Vinstedt nickte. Sie stand an der Tür ihrer Wohnung, die ihr immer noch fremd war, und als Elsbeths Fuß die erste Stufe berührte, sagte sie: «Trotzdem, Elsbeth. Bitte.»
Die Mamsell zog ihren Fuß zurück und blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Sie sah auf ihre geröteten rauen Köchinnenhände, strich über den blau-grau gestreiften, festen Stoff ihres Rockes, drehte sich endlich nach der schönen jungen Frau im geblümten Hauskleid aus feinem Kattun um. Sie war trotz der stets ein bisschen wirren, dicken blonden Locken und der feinen Narbe auf der linken Wange elegant, als sei sie niemals etwas anderes gewesen als die Tochter oder Ehefrau eines wohlhabenden gebildeten Bürgers. Niemand, der ihre Vergangenheit nicht kannte, würde anderes denken. Elsbeth sah ihre Augen, den bittenden Blick, und plötzlich war es einfach. Wozu waren Regeln gut, wenn man sie nicht ab und zu missachtete?
«Auf Wiedersehen», sagte sie, «und noch einmal von Herzen Dank, dass Ihr den Jungen aufnehmt, Mademoiselle – Pardon», sie lachte verschmitzt, «Madam Rosina.»
***
Die drei Menschen, die im Hof der Katharinenkirche standen und zur Spitze des mächtigen Turmes hinaufstarrten, waren sich nur in ihrer Blickrichtung einig, auch hatten alle drei just in dieser Stunde keinen Sinn für die Schönheit und Milde des Tages. Sie hatten ihre Köpfe weit in die Nacken gelegt, der mittlere, ein Mann von überaus kräftiger Statur, die auch der lange schwarze Mantel, das traditionelle Unterhabit, nicht schmaler erscheinen lassen konnte, stützte mit der Linken seine Perücke, die er wegen des wichtigen Besuchs aufgesetzt hatte. Seine Rechte wies mit gestrecktem Zeigefinger zur Turmspitze hinauf, was überflüssig war, weil die Aufmerksamkeit heischende Geste einzig von drei Knirpsen gesehen wurde, die sich nicht im Geringsten für den Kirchturm interessierten. Sie hatten sich für diesen Tag vom Besuch der Sankt-Katharinen-Kirchenschule beurlaubt, um ein bisschen über den Gemüsemarkt zu streifen und hier und da, wo es sich ergab und ungefährlich schien, etwas zu stibitzen, das das Knurren ihrer Mägen beheben könnte. Sie hatten sich gerade noch hinter einen der Grabsteine des Kirchhofs retten können, als der Hauptpastor von Sankt Katharinen – denn niemand anderer hielt da den Finger in die Höhe,
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