Mit dem Teufel im Bunde
werde zumeist nicht dort sein, sondern von den Fenstern im Dachgeschoss zweier Häuser der Nachbarschaft, bei den Amsincks in der Katharinenstraße und den Luis’ in der Grünenstraße, die Veränderung der Neigung messen.»
«Bis der Turm lotrecht steht. Ja, ich weiß.» Sibylla van Keupens Stimme klang nun ungeduldig, doch sie verbarg es hinter einem Lächeln. «Wir Frauen sind daran gewöhnt,von interessanten Neuigkeiten ferngehalten zu werden.»
Der Pastor wollte widersprechen, Sonnin kam ihm zuvor: «Niemand will Euch fernhalten, verehrte Sibylla. Ihr könnt mich in die Dachstuben begleiten und, wenn Ihr Euch dabei nicht zu lange aufhaltet, einen Blick durch meinen Theodolit werfen, der misst die Neigung akkurater als Daumen oder Andachtsbuch. Gewiss werden auch einige Herren vom Rat dabei sein, das wird Euch nicht stören, ich habe sie alle eingeladen. Allerdings», er blickte stirnrunzelnd auf die zierlichen Schuhspitzen aus bestickter burgunderfarbener Seide, die sich in diesem Moment, da der Wind sanft ihre Kleider bewegte, unter ihrem Rock zeigten, «allerdings bedeutet das eilige Lauferei und viel Auf und Ab. Wenn Ihr Euch die Mühe mit den vielen Stufen und Leitern machen wollt, steige ich mit Vergnügen gleich mit Euch auf den Turm und zeige den Damen die Reparaturen an den Ständern der Laternen. Glaubt mir,
das
war eine komplizierte Arbeit. In der unteren mussten nur zwei unter dem Kupfer gefaulte Stützen verstärkt werden, aber in der oberen war einer der Ständer unter dem Kupferblech gänzlich verfault, dort haben wir einen achtundfünfzig Fuß langen Balken von anderthalb Fuß im Querschnitt eingesetzt. Das», fügte er mit ungewohnter Bescheidenheit hinzu, «war eine Meisterleistung der Zimmerleute.»
Es war nicht ersichtlich, ob die Damen van Keupen gern den ersetzten mächtigen Balken aus dem Stamm einer gerade gewachsenen Eiche bewundert hätten, weil das Rumpeln eines auf dem Mittelweg des Kirchhofs heranrollenden Fuhrwerks Sibylla van Keupens Aufmerksamkeit ablenkte.
«Meister Taubner», rief sie, «endlich.» Sie trat an den Wagen, der wenige Schritte vor dem Kirchenportal hielt.
«Taubner», brummte Sonnin. «Wer ist das?»
«Der Stuckator», erklärte Pastor Goeze. «Kennt Ihr ihn nicht? Der Himmel weiß, warum sie nicht einen von unseren Leuten ihr Familienepitaphium ausbessern lässt, sondern wieder diesen Meister aus Altona.»
Er hatte sie nicht danach gefragt. Es wäre unpassend gewesen, schließlich bezahlte sie den Meister auch dafür, dass er bröckelnde Stellen an zwei anderen Epitaphien, deren Familien nicht mehr existierten, und an der Stuckdecke in der Turmhalle ausbesserte.
«Juliane», rief Madam van Keupen, «möchtest du nicht Meister Taubner begrüßen? Du wirst dich doch an ihn erinnern.»
Doch Mademoiselle van Keupen beugte gerade ihren Kopf tief über ihr seidenes Pompadourtäschchen, das einzig Farbenfrohe an ihrer Erscheinung, vielleicht auf der Suche nach einem Schnupftuch, vielleicht um die plötzliche unerklärliche Röte ihres Gesichtes zu verbergen.
Taubner warf ihr einen flüchtigen Blick zu, den Sonnin unergründlich fand, sprang von seinem Wagen und beugte sich im Kuss über Sibyllas Hand.
«Oh, Ihr habt höfische Sitten mitgebracht. Wie galant. Und einen neuen Gehilfen?» Ihr Blick glitt über das junge Gesicht Henrik Jansens, verharrte kurz auf den für einen Handwerker ungewöhnlich schmalen Händen, bevor sie sich wieder, mit leiserer Stimme, Taubner zuwandte: «Ihr müsst bald von Kopenhagen berichten. Ich bin begierig, Neues zu hören.»
‹Kopenhagen›, dachte Baumeister Sonnin verdrießlich, ‹schon wieder das verflixte Kopenhagen.›
Pastor Goeze dagegen interessierte sich in diesem Moment nicht für Klatsch aus der dänischen Hauptstadt. Als er kurz darauf dem Hauptpastorat zueilte, wo seine Gattin mitdem Mittagsmahl wartete, zu dem er wie so oft zu spät kommen würde, beschäftigte ihn noch, wieso Baumeister Sonnin die vornehme Madam van Keupen auf so vertrauliche Weise beim Vornamen genannt hatte.
KAPITEL 2
DIENSTAG, 27. OKTOBER
… zwei, drei, vier dünne Glockenschläge zeigten die volle Stunde an, gefolgt von zwei kräftigen. Das waren die Uhrglocken von Sankt Nikolai. Wenn sie nun bis fünf zählte, würden die von Sankt Katharinen folgen, so war es immer. Falls der Wind günstig stand, konnte sie bald auch die Schläge von Sankt Petri, Sankt Jakobi und vom Mariendom hören. Sosehr die Uhrmacher sich bemühten, es gelang
Weitere Kostenlose Bücher