Mit dem Teufel im Bunde
baumeisterlichen Muster an Raffinesse der Einfachheit, die Turmecke anhoben. Zoll um Zoll, Eichenholz in die Lücke, Zoll um Zoll anheben, Eichenholz in die Lücke, Zoll um …
Für das in großer Menge herbeigeströmte Publikum war das wenig aufregend, es zerstreute sich bald bis auf einige ständig wechselnde Grüppchen. Selbst der schöne, von dunstiger Novembersonne bestimmte Tag hielt sie nie lange in den Straßen um die Kirche, an den Fenstern der umliegenden Häuser oder auf den Schiffen im Hafen. Nur die Taschendiebe waren wieder mal zufrieden, sie hatten schon in kurzer Zeit gute Beute gemacht, und nicht einer war erwischt worden. Die für die Aufrechterhaltung der Ordnung bestellten Stadtsoldaten hatten wie alle ihre Köpfe in die Nacken gelegt und hinaufgestarrt, anstatt auf flinke diebische Finger zu achten.
Das ganze Unternehmen nahm fast drei Tage in Anspruch, so lange blieb niemand neugierig oder der Arbeit fern. Es ist nicht bekannt, ob während der langen Stunden dieser Arbeiten jemand Sibylla van Keupens gedachte. Sie war einige Tage zuvor im Morgengrauen und in aller Stille im Familiengrab der van Keupens beigesetzt worden. Es soll Stimmen des Protestes gegeben haben, da es eigentlich nicht angebracht war, ein ohne die Segnungen der Kirchegestorbenes Gemeindemitglied in der Kirche zur letzten Ruhe zu betten, aber die Stimmen blieben leise und verstummten rasch. Die Zeiten änderten sich, nach einem solchen Tod wurde dem Opfer wenigstens die geweihte Erde gegönnt. Und wer wollte so engherzig sein, wenn der für gewöhnlich strenge Hauptpastor selbst ihren letzten Weg begleitete? Das Gerücht, sie sei eine Erpresserin gewesen, geisterte schon durch die Stadt, glauben mochte es niemand, und die es besser wussten, schwiegen.
Rosina hatte überlegt, was Juliane van Keupen mit den verräterischen Bögen und Zetteln in Sibyllas Mappe tun würde. Sie hoffte, sie würde sie verbrennen.
Über Zacharias Meinert hingegen wurde viel gesprochen. Der Blick hinauf zum Turm und der Brüstung der ersten Laterne ließ alle an seinen Sturz in die Tiefe denken. Niemand, der ihn gekannt hätte, absolut niemand, hätte ihm diese Taten zugetraut. Bigamie, Brandstiftung, Mord – undenkbar. Selbst für die, die gewöhnlich immer schon gewusst hatten, dass dieser oder jene von schlechtem Charakter sei. Sein Leichnam – das wurde einstimmig als zutiefst befriedigend beurteilt – war vom Hamburger Gebiet verschwunden. Nicht einmal in den anonymen Erdlöchern für die Hingerichteten auf dem Galgenfeld vor dem Steintor würde man ihn finden. Seine Mutter und Schwester waren aus Tönning gekommen, sie hatten ihn gefordert und bekommen. Niemand hatte gefragt, wo sie ihn begraben wollten.
Als die letzte Strebe angebracht und der Turm für die nächste Ewigkeit gesichert war, als er auch das erste ausgiebige Läuten aller sechs Glocken überstanden hatte, fand ein Dankgottesdienst statt. Alle eintausendfünfhundertsiebenundachtzig Plätze der Kirche waren besetzt, auch in den Gängen des Schiffs und der Emporen drängte sich das Volk.Die große Orgel klang an diesem Tag besonders mächtig und strahlend.
Für den Abend dieses Tages hatten Claes und Anne Herrmanns zu einer kleinen Feier geladen, die allerdings ziemlich groß wurde, weil niemand absagte, sondern auch noch Cousins und Cousinen dritten Grades mitbrachte. Vielleicht lag es daran, dass alle sicher waren, dort Madam Vinstedt und ihren Gatten (der ausnahmsweise weniger interessierte) zu treffen. Es hatte Gerede gegeben, Überlegungen, ob alles stimmte, was man hörte, und nicht vielmehr diese Madam den unschuldigen jungen Kaufmann, immerhin den Schwiegersohn der alteingesessenen Bators, vom Turm gestoßen hatte. Ob sie nicht überhaupt an allem die Schuld trage, sogar am Tod Sibylla van Keupens. Schließlich gab es keine Zeugen für das nächtliche Drama auf dem Katharinenturm, und ein unleserlicher Zettel in einer alten Mappe war ein zweifelhafter Beleg. Überhaupt war auch der nur ein Gerücht, niemand hatte ihn seither gesehen.
Auch diese Stimmen verstummten bald. Rosina vergaß sie nicht, das Geraune verfolgte sie bis in den Schlaf. Mal stürzte sie im Traum in bodenlose Finsternis, mal hetzte sie, im Rücken eine unbekannte mörderische Gefahr, durch schlammige Wälder, immer in Gefahr zu versinken.
In der Nacht vor dem Fest träumte sie, sie sei wieder eine unbekannte Komödiantin in der Stadt. Sie irrte allein durch dunkle Gassen, niemand war da, auch
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