Mit dem Teufel im Bunde
betäubenden Klang der Glockenschläge weiter über die Holztreppe und die Leiter. Und fand sie allein. Stumm, den fassungslosen Blick noch auf die Brüstung gerichtet.
«Er ist gesprungen», flüsterte sie heiser in sein Ohr, «er wollte mich hinunterstoßen und ist selbst gesprungen. Einfach gesprungen, in den Sturm wie ein Spuk.»
Sie hatte nicht hinuntergehen, nicht den zerschmetterten Körper sehen wollen. So ging er voraus, half ihr die Leiter hinab, ging behutsam Stufe um Stufe über die Treppen, ihre Hand auf seiner Schulter haltend. Unten angekommen, wickelte er sie in ihren Mantel und drückte sie auf die Bank in der Turmhalle.
«Warte hier», sagte er, «ich hole dich, wenn – wenn es so weit ist.»
Sie schüttelte den Kopf und folgte ihm. Sie hoben denBalken von seinen Haken, Meinert musste ihn vorgelegt haben, bevor er Rosina den Turm hinauf gefolgt war.
Magnus stieß die Tür auf, stemmte sie gegen den Wind. Obwohl der nun tatsächlich schwächer geworden war, schlug eine Bö sie hart gegen das Mauerwerk.
Da lag, was von Zacharias Meinert geblieben war. Eine Frau beugte sich über ihn, beim Poltern der Tür schreckte sie hoch und starrte Rosina und Magnus voller Entsetzen an.
«Mademoiselle Juliane», schrie sie, «wo ist sie? Was habt Ihr mit ihr gemacht?»
Sie wollte sich an Rosina und Magnus vorbei in die Kirche drängen, doch Rosina hielt sie auf.
«Sie ist nicht hier, Erla. Bestimmt nicht.» Da begriff sie. «Hat jemand nach ihr geschickt? Meinert?»
«Nein», schrie Erla, «Ihr habt doch nach ihr geschickt. Ihr. Sie sollte hierherkommen. Wo ist sie?»
«Unter der Südempore», rief Rosina. Jetzt war nicht der Moment, den Irrtum aufzuklären, sie rannte zurück in die Kirche. «Meinert kam von der Südempore.»
Sie hasteten an den Bankreihen entlang, Rosina fand einen unter eine Bank an der Südmauer gestopften Umhang.
«Ihr Mantel», flüsterte Erla, «das ist ihr Mantel.»
Sie hasteten weiter entlang den anderen Bankreihen, riefen immer wieder ihren Namen, sie fanden sie nicht.
«Der Gotteskasten», sagte Magnus.
Der Deckel bewegte sich nicht, die große eisenbeschlagene Truhe für die milden Gaben war dreifach verschlossen.
«Bleibt die Sakristei», sagte Rosina.
Magnus schüttelte entschieden den Kopf. «Bestimmt nicht. Dort bin ich eingestiegen, ich hätte sie gesehen, egal wie …»
Sein Blick streifte das angstvolle Gesicht der Köchin, er drehte sich um und rannte hinauf zur Orgelempore. Keine Spur von Juliane van Keupen.
«Kommt mit», sagte Erla, «und betet, dass sie lebt.»
Vor dem Grab der van Keupens blieb sie stehen. Die Totengräber hatten schon die schwere Deckplatte gelöst, angehoben und verkantet auf das offene Grab gelegt. Der aufsteigende eklige Geruch war nahe an der Öffnung wie ein böses Omen.
Es bedurfte der Kraft aller drei, um die Platte wegzuschieben. Erla schluchzte auf, ob vor Angst oder Erleichterung – Juliane lag auch nicht in der schwarzen Höhlung.
«Ihr seid sicher, dass sie nicht wieder im Cremon ist?», fragte Magnus. «Vielleicht hat sie einen anderen Weg genommen als Ihr?»
«Nein», sagte Erla, «das kann nicht sein.»
Rosina schwieg. Sie wusste nicht, wie viel Zeit sie mit Meinert auf dem Turm verbracht hatte, doch selbst wenn Juliane zurückgegangen war, hätte sie im Cremon sein müssen, bevor Erla sich auf den Weg gemacht hatte.
Wenn
Juliane lebte und sie hätte zurückgehen können.
‹Die Laube›, dachte sie, ‹vielleicht hat sie sich hinter der Hecke verkrochen›, und rannte hinaus, vorbei an dem Toten auf den Kirchhof.
Der Sturm war nur noch ein kräftiger Wind, der Mond stand klar am Himmel, im Hasten stolperte sie über ein Brett zwischen zwei Gräbern. Magnus wollte ihr aufhelfen, sie schob seine Hand weg und zeigte auf das Grab, neben das sie gefallen war. Das Grab, das die Totengräber geleert hatten, als sie nachmittags mit dem Baumeister auf dem Turm gewesen war. Es war nur mit Brettern abgedeckt. Schlecht abgedeckt, als sei der, der es getan hatte, in großer Eile gewesen.
Magnus verstand sofort. Sie hoben die Bretter ab, und da lag sie.
«Juliane», schluchzte Erla, ließ sich zu Boden fallen, beugte sich weit hinunter in das Grab und streichelte ihr Gesicht. «Mademoisellchen, wach doch auf!»
Juliane van Keupen bewegte sich nicht.
EPILOG
IM NOVEMBER
Der Katharinenturm stürzte nicht herunter. Sein Gebälk krachte und stöhnte nur schaurig, als die Sheldon’schen Maschinen, diese
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